Die Politik sieht den Siegeszug des Internet mit gemischten Gefühlen und droht – auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts – mit neuen Gesetzen. Die CeBIT ist noch keinen Tag alt, da geht sie wieder los, die Diskussion über das „rechtsfreie“ Internet. Ignoranz, Ahnungslosigkeit – oder steckt da mehr dahinter?

(nach ausf. Lektüre zum BVerfG-Urteil gestern eine aktualisierte Fassung von: ‚Das freie Internet – Enemy of the State?‘ – Änderungen kursiv)

Es gibt Phrasen, die werden so lange gedroschen, bis sie nicht mehr hinterfragt werden. Eine dieser Phrasen lautet: Das Internet dürfe kein „rechtsfreier Raum“ sein. Es ist unklar, wer diesen Blödsinn in die Welt gesetzt hat (meine Theorie: rechtskonservative Politiker, beleidigt, weil im Internet ständig nur die Rede ist von „Links“).

Weshalb das Gerede von rechtsfreien Räumen Quatsch ist, begründet. Konrad Lischka bei Spiegel Online sehr schön:

„Es fahren auch sehr viele Menschen auf der Autobahn regelmäßig und ohne schlechtes Gewissen zu schnell, aber niemand käme auf die Idee, Straßen deshalb einen rechtsfreien Raum zu nennen.“

Für das Internet gelten, online wie offline, dieselben Regeln und Gesetze. Die Parteien wissen das natürlich. Und dennoch wird die Mär vom „rechtsfreien“ Internet bewusst am Leben erhalten, denn irgendwie bleibt den Regierenden das freie Netz suspekt.

Chaostheorie

Warum die Skepsis gegenüber dem Internet? Christian Stöcker bei Spiegel Online erklärt sich das folgendermaßen: weil online viele Themenbereiche miteinander kollidieren, wüssten die Parteien nicht mehr, wo rechts und links liegen. – Das ist sicherlich ein zentraler Punkt. Doch versuchen wir noch tiefer einzudringen, in die Psyche der Politprofis: Woher rührt dieses allgemeine, unterschwellige Unbehagen gegenüber dem Netz, wie wir es nun schon seit Jahren in den politischen Debatten erleben?. Eine übliche Abwehrreaktion gegenüber Dingen, die man nicht kennt? Ich vermute noch mehr dahinter – und zwar die schleichende Angst vor Kontrollverlust.

Außer Kontrolle

Wir erleben es in der Wirtschaft, in den Medien, jetzt in der Politik: die Akteure müssen feststellen: die bewährten Rituale ziehen nicht mehr. Kunden/Leser/Wähler wenden sich ab, Parteienbindungen, Zeitung und Fernsehen verlieren an Bedeutung. Selbst einstige Gewissheiten, wie die von Richard Nixon, haben sich überlebt:

Wer schon mal hinter die Kulissen von politischen Talkshows schauen durfte, kennt das Bild: Parteien- und Interessensvertreter, die sich vor der Kamera publikumswirksam anpflaumen, liegen sich nach der Sendung bei Wein und Häppchen in den Armen. Man erkundigt sich nach Frau und Familie, schachert seinen Kindern gegenseitig Praktikumsplätze zu.

Erosion der Macht

Das Netz nagt an der Macht der Meinungsmacher. Die alten Absprachen zwischen Politikern, Journalisten, Funktionären und Gewerkschafts-Bossen werden durch das Internet vielleicht nicht gleich völlig ausgehebelt – aber doch immer häufiger in Frage gestellt. Das Privileg des Informationsvorsprungs gilt nicht mehr.. Erbost müssen die Meinungsmonopolisten feststellen, dass die (kritische) Äußerung eines „einfachen Bürgers“ zur Partei/Firma/Leitartikel bei Google noch oberhalb der eigenen Homepage erscheint! Sowas kann nicht ohne Folgen bleiben.

Welche Schlacht da im Verborgenen ausgefochten wird, lässt sich in seiner deutlichsten Form weit weg von hier beobachten: in China. Natürlich will hier keiner die Bundesrepublik mit einem Unrechtsstaat wie der „Volksrepublik“ auf eine Stufe stellen. Dass aber gerade die Machthaber in einer Firma wie Google eine Konkurrenz und damit auch eine Bedrohung sehen müssen, liegt auf der Hand. Die Daten, über die der Internet-Riese verfügt, lassen jeden staatlichen Nachrichtendienst alt aussehen.

Zum Start der CeBIT rudert Angela Merkel in ihrem Video-Podcast zurück

Next stop: Minority Report

Wenn Verbraucherschutzministerin Aigner jetzt also gegen die Datensammelwut von Google wettert – so ist das nicht etwa irgendeine mal eben dahin gesagte Äußerung, sondern eine politische Nebelkerze. Ist es doch der Staat selbst, der gar nicht genug Daten haben kann von seinen Bürgern:

Biometrische Gesichtserkennung, Rasterfahndung mit gescannten Nummernschildern, Bewegungsprofile durch Handy-Ortung, Eingriffe in das Postgeheimnis, Speicherung der aufgerufenen Webseiten, Streichung des allgemeinen Abhörverbots von Ärzten, Pfarrern und Strafverteidigern, Abschaffung des Bankgeheimnisses, Ankauf von (geklauten) Bankdaten aus dem Ausland… die Liste der staatlichen Überwachung ließe sich noch lange fortsetzen.

Immerhin: einen der krassesten Einschnitte in unsere Grundrechte hat das Bundesverfassungsgericht jetzt zurechtgestutzt:. Die Massen-Speicherung von E-Mail- und Telefonverbindungen aller Bundesbürger für die Dauer von 6 Monaten – und das ohne jeden Verdacht – die Umkehrung der rechtsstaatlichen UnschuldsvermutungAlle aktuellen Daten müssen gelöscht werden.. Doch war dieser Urteilsspruch tatsächlich die erhoffte Kehrtwende? Ganz im Gegenteil, urteilt Jens Berger im Spiegelfechter blog, denn das höchste deutsche Gericht habe die Zulässigkeit der Vorratsdatenspeicherung nicht nur bestätigt sondern geradezu zementiert:

„Der Bürger ist seit heute nicht mehr zunächst unschuldig – er gilt als potentieller Straftäter. Seine Daten sind damit auch nicht mehr die Daten eines Unschuldigen, sondern potentielle Beweise, die bei der Verfolgung von Straftaten oder der Abwehr von Gefahren eingesetzt werden können, die zum Zeitpunkt der Datenerhebung noch nicht einmal absehbar sind. Die Daten dürfen erst einmal auf Vorrat gespeichert werden. Dieser Paradigmenwechsel wurde heute durch Karlsruhe mit dem höchstrichterlichen Stempel versehen – fürwahr kein Ruhmesblatt für die deutsche Justiz.“

Zukunftvision:. Minority Report – die Verfolgung von Straftaten, bevor sie begangen werden? . (DVD bei Twentieth Century Fox)

Missbrauchs-Monopoly

Nun ist es sicherlich etwas anderes, wenn ein demokratisch legitimierter Staat Daten speichert, als wenn ein Konzern wie Google das tut. Erstaunlich jedoch ist, dass es ausgerechnet die großen staatlich kontrollierten Konzerne sind (Deutsche Telekom, Post und Bahn), die fahrlässig mit unseren Daten umgehen (s. Bericht von. Report Mainz gestern Abend) und wiederholt gegen Datenschutzrechte verstoßen haben.

Wo sind hier die Wortführer aus Justiz- und Verbraucherschutzministerium? Wieso wird der Bundesdatenschutzbeauftragte nicht mit mehr Befugnissen und Personal ausgestattet?

Der frühere Bundesinnenminister Schäuble spielt die Vorfälle bei der Telekom herunter. In der Datensammelwut des Staates sieht er keine Gefahr. Im Gegenteil: die aufkommende Kritik darüber bezeichnete er im Oktober 2008 als unverantwortliches Schüren von Ängsten.

Aristoteles: „Wer die Sicherheit seines Volkes der Freiheit vorzieht, hat beides nicht verdient“

Bei aller gebotenen Vorsicht gegenüber Google: Die größere Gefahr sehe ich bei den Parlamentariern, die offenbar immer größere Schwierigkeiten haben, mit der technischen Entwicklung Schritt zu halten. Das Digitalzeitalter weckt Begehrlichkeiten auf allen Seiten. Die Politik muss – mehr denn je zuvor – ihre Rolle wahr nehmen und die Bürger vor Eingriffen schützen. Wie schon beim Netzsperren-Desaster zeigt auch der politische Eiertanz um die Vorratsdatenspeicherung: gut gemeint ist nicht immer gut gemacht. Ob aus Absicht oder aus Unkenntnis. Am Ende spielt das keine Rolle.

Der Staat, der Datenschutz und das Internet – Eure Meinung?

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13 Kommentare
  1. Alexander schreibt:

    Tja, was soll man dazu sagen. Ich finde das Urteil des BVerfG in der Summe schlecht für die Bürgerrechte und beileibe keinen Grund zu feiern. Es ist ein „deutsches“ Urteil. Es erlaubt – sofern besser „verwaltet“ und genauer „spezifiziert“ – deutlich mehr als bisher angedacht. Explizit ist auch von Ordnungswidrigkeiten die Rede, solange spezifiziert und transparent. Da werden wir demnächst viele spannende Diskussionen führen.

    Dass es sich lohnt, diesen groben Unfug vom Internet als rechtsfreien Raum penetrant zu wiederholen, das zeigt Rn 260 des heutigen Urteils des Bundesverfassungsgerichts (http://bit.ly/d8MVcY). Dort steht:

    „In einem Rechtsstaat darf auch das Internet keinen rechtsfreien Raum bilden.“

    Ohne Worte.

  2. Jan schreibt:

    @Alexander: „Ohne Worte“ ist hier sicher der falsche Ansatz. Man muss auch mal den Satz davor und danach lesen, um das Anliegen zu verstehen: Wäre eine Deanonymisierung von IP-Adressen mangels Speicherung generell ab dem Ende der Verbindung nicht mehr möglich, läge darin wiederum ein Verzicht auf die Möglichkeit der Strafverfolgung jeglicher Online-Delikte, und zwar a priori. Man müsste also allen, die online verleumdet, abgezockt, betrogen oder erpresst worden sind sagen: Sorry, wir – der Rechtsstaat – können nichts für dich tun; get over it.

    Genau diese Situation ist mit „darf nicht sein“ gemeint, und das macht durchaus Sinn. Dass der Spruch vom rechtsfreien Raum durchaus Quatsch ist – geschenkt. Aber so, wie ihn das Gericht hier gebraucht hat, wirkt er ausnahmsweise sinnvoll: Als Aufzeigen der Folgen einer (in diesem speziellen Punkt der Absätze 260 f.) anderen Entscheidung.

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