Die US-Homeland Security will einen ‚Kill Switch‘, eine Vorrichtung, um Teile des Internets auf Knopfdruck lahmzulegen. Dass man keine Bedenken hat, davon auch Gebrauch zu machen, demonstriert Washington jetzt eindrucksvoll beim Feldzug gegen WikiLeaks. Konzerne wie Amazon und eBay erweisen sich dabei als nützliche Erfüllungsgehilfen.

Wie viele von Euch habe ich die Entwicklungen rund um WikiLeaks mit großer Aufmerksamkeit verfolgt. Ich habe Gespräche geführt, mit Kollegen, mit Freunden, mit Vertretern der US-Regierung. Es gibt gute Gründe, die Veröffentlichung von Diplomatenpost zu verurteilen: Da wird die Gefährdung von Informanten ins Feld geführt, oder auf das sensible Gleichgewicht in der arabischen Welt hingewiesen.

Was an diesen Argumenten dran ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Was mich jedoch in der Tat wundert, ist die Tatsache, dass sich alle WikiLeaks-Veröffentlichungen bislang allein auf die USA konzentrieren. Wo bleiben die entsprechenden Berichte aus dem Iran, aus Russland oder aus China? Warum ausgerechnet einen Staat bloßstellen, der nach wie vor zu den offensten Nationen der Welt zählt?

Mein Interview mit Conrad Tribble, US-Generalkonsul in München

Angriff auf die Pressefreiheit

Es ist nachvollziehbar, dass die US-Regierung alles daran setzt, die undichte Stelle in den eigenen Reihen zu überführen und Vorkehrungen zu treffen, dass sich so ein Vorfall nicht all zu schnell wiederholt. Mit Sorge hingegen sehe ich den Umgang mit WikiLeaks. Gegen eine Plattform vorzugehen, deren Verbrechen darin besteht, nicht etwa Lügen zu verbreiten, sondern die Wahrheit, da stimmt irgendetwas nicht.

Die USA üben Druck aus auf Amazon, auf PayPal (seit 2002 Tochter von eBay) und auf andere „Kollaborateure“, verlangen, WikiLeaks von ihren Servern zu verbannen. Müssten sie nicht mit gleicher Vehemenz auch gegen die New York Times, eigentlich gegen die gesamte freie Presse ins Feld ziehen (siehe dazu auch die Erklärung von ‚Reporter ohne Grenzen‘)? Denn genau genommen hat WikiLeaks nichts getan, was investigative Journalisten nicht auch tun: gesellschaftlich relevante Informationen sichten, diese zu verifizieren und zu veröffentlichen.

Rap mit Überraschungsgast: ‚The War On Journalism‘ . feat. Julian Assange

Ein Kill Switch für das Internet

Washington beruft sich darauf, dass der Informant von WikiLeaks die Depeschen auf illegale Art und Weise erlangt hat. Aber das liegt nun mal in der Natur solcher Papiere! Manch Pulitzer-Preis basiert auf der Verwendung von illegal zugespielten Tonbändern oder Dokumenten.. Was Cablegate von früheren Enthüllungen durch die Presse unterscheidet, ist die schiere Masse an Unterlagen, die WikiLeaks publiziert. Doch das ist weniger der Organisation geschuldet, sondern viel mehr dem technischen Fortschritt.

Eben diesen technischen Fortschritt beklagen viele Machthaber seit geraumer Zeit.. Senator Joseph Lieberman, Vorsitzender des US-Homeland-Security-Ausschusses im Senat, hat diesen Sommer seinen Protecting Cyberspace as a National Asset Act vorgestellt. Ein Gesetz, dass u.a. den US-Präsidenten dazu ermächtigt, Teile des Internets per Knopfdruck lahmzulegen. Wie schnell eine Regierung dazu verleitet sein kann, von einem solchen ‚kill switch‘ Gebrauch zu machen, erleben wir aktuell in der WikiLeaks-Debatte.

Joseph Lieberman, Homeland Security Ausschuss, rechtfertigt den Druck auf Amazon

Auch New York Times und Twitter auf Amazon Servern

PayPal und Amazon waschen ihre Hände in Unschuld, berufen sich auf ihre Geschäftsbedingungen. (die offiziellen. Statements von Amazon und von PaypPal zu WikiLeaks). Doch galten diese AGB nicht schon vor Cablegate? Amazon Web Services rühmen sich damit, auch Twitter und die New York Times über ihre Server zu verbreiten. Warum sollte es nach wie vor erlaubt sein, die New York Times über Amazon zu beziehen, nicht aber die zugrundeliegenden Originaldokumente? Warum haben Amazon und eBay im vorauseilenden Gehorsam gehandelt, gibt es doch noch nicht einmal einen ordentlichen Gerichtsbeschluss?. Wenn es sich jemand leisten könnte, einer Regierung die Stirn zu bieten, dann doch wohl zwei global aufgestellte Internet-Konzerne wie Amazon oder eBay.

„Those who would. give up essential. liberty to purchase a little temporary safety deserve neither. liberty nor safety.“

Benjamin Franklin

Weil Amazon keine Kritik auf seiner Facebook-Seite zulässt . und jegliche Kommentare zu Wikileaks sofort löscht, sehe ich nur eine Möglichkeit, Amazon, eBay, aber auch allen Mitbewerbern ein Zeichen zu senden. Ich tue das, indem ich Gebrauch mache von eben diesem freien Internet, das es zu verteidigen gilt – sei es vor Eingriffen durch den Staat oder durch Konzerne. Ich hoffe, Ihr tut es mir gleich und bloggt ebenfalls zu dem Thema – und/oder hinterlasst mir einen Kommentar auf dieser Seite.

Darüberhinaus werde auch ich meine Weihnachtsgeschenke – entgegen meiner Gewohnheit – dieses Jahr nicht bei Amazon kaufen. Genauso, wie ich meinen PayPal-Button von meinen Seiten entfernt habe.

Kindisch? Vielleicht. Aber irgendwo muss man ja ansetzen.

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77 Kommentare
  1. Thomas Haseloff schreibt:

    Warum eigentlich immer Amerika? Ganz einfach! Die haben dieses SIPRNet auf das 2,5Millionen Mitarbeiter zugreifen können.

    „Das Problem: Insgesamt 2,5 Millionen US-Beamte und Soldaten haben Zugang zu SIPRNet. Lecks sind damit kaum zu verhindern.“
    http://www.nachtmagazin.de/ausland/wikileaks198.html

    Etwas vergleichbares gibt es halt nirgendwo anders bzw. nicht in diesem Umfang!

  2. Susanne Butz schreibt:

    Ich rege mich gerade so häufig auf, dass ich gestern beschlossen habe, entgegen den adventlichen Gepflogenheiten, Türchen zu öffnen, eben Türchen zu schließen. Z.B. zu Amazon.
    Es ist nicht nur aktuell die Sache mit WikiLeaks, es hängen ja auch andere Folgen am bequemen, preiswerten Bestellen bei einem Riesen.
    So ist mein „Türchen zu“ in diesem Fall ein „Türchen auf“ für die kleineren Händler und Geschäfte.
    Und so werde ich die nächste Zeit bei einigen Dingen nachdenken, ob ich die Tür nicht zu mache.

Willkommen!