Ist die Weiße Revolution schon zu Ende, bevor sie überhaupt begonnen hat? Mein Treffen mit 2 Bloggern aus Russland und Weißrussland.

Prolog

Heute melde ich mich aus Sankt Petersburg, dem einstigen Leningrad oder auch „Heldenstadt“ genannt. Ich war noch nie in Russland und wenn mich nicht das Goethe-Institut hierher zu einer Podiumsdiskussion eingeladen hätte, wer weiß, ob ich diese Reise jemals unternommen hätte. Als Kind des Kalten Krieges bin ich mit allmöglichen Schauergeschichten über die Russen aufgewachsen. Nicht alle davon stammen aus James-Bond-Filmen.

Am Abend vor der Reise habe ich meine rudimentären Geschichtskenntnisse kurz bei Wikipedia aufgefrischt: 871 Tage hatte die Wehrmacht die Stadt belagert. Hitler plante Leningrad auszuhungern. Laut geheimer Weisung des Oberkommandos bestand „keinerlei Interesse am Fortbestand dieser Großsiedelung“. Sprich: Der geplante Genozid an 3 Millionen Russen.

Rote Haare, weißes Band – Nuria Fathykova

Ich treffe Nuria Fathykova aus Moskau und Viktar Malishevsky aus Minsk. Gemeinsam sollen wir an der Journalistischen Fakultät  von Sankt Petersburg vor russischen Studenten sprechen – über das Bloggen, den Journalismus und das Digitale Leben. Moderiert hat das Panel übrigens Pauline Tillmann, freie Korrespondentin, Russland-Kennerin und, ganz nebenbei, eine gute Bekannte von mir. Pauline bloggt über ihr Leben in Russland unter http://www.pauline-tillmann.de/. Wer Kontakte nach Sankt Petersburg benötigt, sollte sich unbedingt mit ihr in Verbindung setzen.

Nuria Fathykova, Journalistin, 29 Jahre alt, spricht fließend deutsch. Sie hat u.a. in Berlin und Tübingen studiert, liegt in den letzten Zügen ihrer Dissertation. Thema: „Politisches Bewusstsein in der Transformations-gesellschaft“, eine Bestandsaufnahme der post-kommunistischen Generation hier in Russland.

Seit Dezember beteiligt sich Nuria an den Moskauer Protesten. Ihre Stofftasche, in der sie eine Canon EOS 5D (gebraucht gekauft) und ein MacBook mit sich herumträgt, ziert ein weißes Stoffband – Symbol der russischen Protestbewegung. Kein Zeichen des Widerstandes sondern des Mutes, wie sie sagt.

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Russische Realität

Im Dezember hatten 100.000 Russen diese Bänder getragen. Anders als in Ägypten sind es nicht die jungen Menschen, die hier gegen die Machthaber aufbegehren. Es sind Gutsituierte, Ärzte, Anwälte und Unternehmer, Menschen, die sich ihren Weg hinauf in die Mittelschicht hart erkämpft haben. Weshalb sie protestieren? Es geht ihnen doch gut.

„Das wirkt nur so“, sagt Fathykova. Die russische Realität lasse sie immer wieder gegen unsichtbare Mauern rennen.

Thema Pressefreiheit. Medien, die zu regierungskritisch berichten, können nach der zweiten Verwarnung geschlossen werden. So weit kommt es tatsächlich nur selten. Zeitungen und Sender seien derart auf Linie, dass Medienhäuser die Regierungs-Auflagen im vorauseilenden Gehorsam übererfüllen. Auch Nuria Fathykova kann viele Geschichten dazu erzählen (siehe Video).

Thema freie Wahlen. Im Internet und auch sonst kursieren unzählige Geschichten von Wahlfälschungen. Hatte die Regierung die Wahllokale nicht extra mit Web-Kameras ausstatten lassen, damit sich jeder vom ordnungsgemäßen Ablauf überzeugen konnte? „Alles nur Show“, so Fathykova. Wer Zugriff auf den Livestream haben wollte, musste sich zuvor bei einer Behörde namentlich registrieren. In vielen Wahllokalen seien die Kameras über mehrere Stunden ausgeschaltet worden.

Foto: Nuria Fathykova

Die Protestbewegung

Seit der Wiederwahl Putins ist es still geworden um die Protestbewegung. Nur wenige Tausend Menschen hatten sich an den Tagen nach der Wahl auf den Straßen zusammengefunden. Kleinere Ansammlungen wurden sofort von der Polizei aufgelöst. Ist die Revolution zu Ende, bevor sie überhaupt begonnen hat? Fathykova gibt sich zuversichtlich. „Über Facebook und vKontakte (dem russischen Facebook) sammeln wir weiter Ideen, wie wir unsere Aktionen ausweiten können – mit legalen Mitteln. Die 29jährige hatte im Frühjahr ihren ersten Flashmob organisiert. „Die Proteste werden weitergehen!“

Der Anti-Journalist – Viktar Malishevsky 

Viktar Malishevsky nimmt seinen Platz auf dem Podium ein. Der Weissrusse ist erleichtert, dass er nicht schon wieder neben einem dieser Blogger aus Ägyptern sitzen muss. „Die Ägypter nerven mich“, ätzt er „nicht die Blogger haben die Revolution gemacht, die Revolution hat sie gemacht.“ Blogger bewirken wenig, so Malishevsky. Im Gegenteil. Sie schaden sogar der Sache. Durch sie stünden Blogger wie er heute unter noch größerer Beobachtung (siehe Video).

Der 37Jährige gilt als Weissrusslands bekanntester Blogger. Zeitungen zitieren ihn gern, denn er spricht Wahrheiten aus, die sich sonst keiner zu sagen traut. Wie er sich seinen Erfolg erklärt, frage ich ihn. „Ganz einfach“, grinst er schelmisch, „ich habe keine Konkurrenz“. Er reicht mir seine Visitenkarte. Als Berufsbezeichnung steht dort unter seinem Namen „Anti-Journalist“.

Blogs als Stimmungsbarometer

10 Jahre hat Malishevsky in Minsk bei der Tageszeitung Komsomolskaja Prawda gearbeitet. Heute verdient er sein Geld mit Vorträgen und Seminaren für Journalisten. Sein Blog betreibt er in seiner Freizeit. Wenn Blogger nichts bewirkten, warum bloggt er dann überhaupt, will ich wissen. „Weil viele Journalisten ihren Job nicht machen“, so Malishevsky. Die Stimme sanft, der Blick verbindlich, doch seine Worte schneiden scharf wie die Klinge bei Fruit Ninja. Das Internet sei dazu da, den Journalismus zu ändern. Aber dieser ändere sich kaum.

Beim Bloggen ginge es nicht nur um die Artikel, sondern vor allem um die Kommentare darunter. Eine wunderbare Fläche, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie die Gesellschaft so ticke. „Neulich zum Beispiel habe ich gebloggt, ich sei für die Todesstrafe. Das stimmt zwar gar nicht, aber ich wollte möglichst viele Kommentare provozieren, um herauszufinden, ob es nicht doch gute Gründe dafür gibt.“

Europas letzte Diktatur

In Weissrussland, Europas letzter Diktatur, stehen Querdenker wie Malishevsky unter Beobachtung. Am 6. Januar 2012 ist mit dem Gesetz 317-3 die Internet-Überwachung nochmal verschärft worden. Die Liste der blockierten Seiten wird länger und länger. Besucher von Internet-Cafés müssen ihren Pass vorzeigen. Die Daten werden ein Jahr lang gespeichert. Hausbesuche und Verhöre potentieller „Unruhestifter“ sind an der Tagesordnung. Reporter ohne Grenzen erklären Weissrussland zum „Enemy of the internet“.

„Mich lassen sie in Ruhe“, so Malishevsky. Woran das liegt? „Weil ich gegen alle bin – Regierung wie Opposition.“ Was er gegen die Opposition habe, möchte ich wissen. Die Opposition sei wie die Regierung seit 17 Jahren im Amt. „Selbstgefällig und letthargisch, im Grunde genauso wie die Regierung, nur eben mit anderem Vorzeichen.“

Bloggen sei für ihn eine elegante Form von Anarchie „Du bist für niemand, und zugleich gegen alles“. Vielleicht bewirkten Blogger ja doch etwas“, korrigiert Malishevsky seine Aussage von zuvor. Aber dazu müssten alle mitmachen. „Wenn alle Menschen bloggen würden, könnte sich tatsächlich etwas verändern!“.

Viktar Malishevsky, Pauline Tillmann, Richard Gutjahr, Nuria Fathykova (Foto: Tatjana Kokorina)

 

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8 Kommentare
  1. ad schreibt:

    Toller Artikel. Vielen Dank dafür. Wann reist du in die Länder, die auf der Karte schwarz eingzeichnet sind? Vielleicht China zuerst?

    BTW ist die Karte extrem interessant. Den „Weißanteil“ hätte ich höher geschätzt.

  2. russ land schreibt:

    „russland, das land von dostojewksi, von pasternak …und natürlich tolstoi dem
    „herr der ringe“ ihre az kolumne 30.3.12

    das hat die russische literatur nicht verdient!

    viel krieg wenig frieden
    wünscht ein az leser

Willkommen!