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Hollywood wird durchgeschüttelt. Kein Erdbeben. Kein Korea-Hack. Das Virus, das alle Studios befallen hat, nennt sich Streaming-TV. Zwei Golden Globes für Amazon. Einen für Netflix. Das traditionelle Fernsehen stirbt, sagt Henrik Bastin. Er hat gerade eine Serie für Amazon abgedreht.

 

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Pitching-Season in Hollywood

Ich sitze beim Frühstück in einem einschlägig bekannten Restaurant in Hollywood. Ein Mann in Sneakers und grauem Hoodie kommt herein, setzt sich an den Nachbartisch: Kelsey Grammer (Cheers, Frasier). Nach und nach füllt sich der Tisch mit illustrer Gesellschaft. Viel Haarimplantate, viel Botox. Ein bärtiger Mittvierziger ergreift das Wort. Wie sich herausstellt, ein Drehbuchautor. Er spricht laut, gestikuliert viel. Es geht um eine neue Produktion. Eine neue Serie. Eine Fotomappe macht die Runde. Darin Fotos von Schaupielern für eine mögliche Besetzung.

Seit letzter Woche ist wieder Pitching-Season in Hollywood. Nicht immer finden solche Pitches in gediegener Atmosphäre eines hippen Lokals statt: Das Online-Kaufhaus Amazon stellt seit ein paar Tagen wieder 7 neue Piloten ins Netz, die vom Publikum bewertet werden können (zum ersten Mal auch in Deutschland und Österreich). Die erfolgreichsten Projekte gehen „in Serie“.

 

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BOSCH, Season 1 – Foto: Amazon Studios

 

Meet: Bosch

Eine Produktion, die es letztes Jahr durch den Pitch geschafft hatte, ist „Bosch“ (Premiere der kompletten 1. Staffel am 13. Februar in USA, UK, Deutschland). Nach Comedies wie „Alpha House“ mit John Goodman,  „Mozart in the Jungle“ oder dem Golden-Globe-gekrönten „Transparent“, ist „Bosch“ Amazons erste Drama-Serie. Die Fans der Buch-Reihe scheinen mit der TV-Adaption durchaus zufrieden zu sein. Die Reaktionen auf den Piloten waren durchweg positiv.

Vor ein paar Wochen habe ich mich mit dem Produzenten von „Bosch“, Henrik Bastin, in Los Angeles verabredet und mit ihm über Hollywood, die neuen Player und die Zukunft des Fernsehens gesprochen.

 


 

Das Gespräch im Überblick:

  •  Amazon hatte großes Interesse an der Serie (ab Min 1:30)
  •  Was „Bosch“ besonders macht (ab Min 2:35)
  • Komplexe Storys können nur als TV-Serie erzählt werden (ab Min 3:00)
  • „Bosch“-Romane haben auf Amazon bereits eine große Fangemeinde (ab Min 5:00)
  • Hollywood ist Angst-gesteuert – mit den neuen Playern wächst die Risiko-Bereitschaft (ab Min. 6:10)
  • Lineares Einschalt-Fernsehen stirbt gerade (ab Min 8:10)
  • Studios orientieren sich Richtung Fernseh-Serien (ab Min 9:10)
  • Warum traditionelles Fernsehen keine Chance hat (ab Min 10:20)
  • Der TV-Goldrausch und das Silicon Valley (ab Min 12:10)
  • Aufmerksamkeit als neue Währung (ab Min 14:15)
  • Der Zuschauer als größter Nutzniesser (ab Min 15:30)
  • Das Kabel- und Network-System hat keine Zukunft (ab Min 16:15)
  • Aber: Fernsehen benötigt einen Aggregator (ab Min 17:15)
  • Fernsehen erleidet das gleiche Schicksal wie Musik und Print (Min 19:00)

 

Wie schnell sich die TV-Industrie bewegt, lässt sich an einem Blogpost ablesen, den ich vor 2 Jahren geschrieben habe. Nahezu alle Prognosen von damals sind inzwischen eingetroffen oder zum Teil sogar überholt. Demnächst will Amazon sogar die klassische Spielfilm-Verwertungskette (Kino-Videothek-Kauf-DVD-Fernsehen) durchbrechen.

Kino-Produktionen sollen nur wenige Wochen nach ihrer Leinwandpremiere über Streaming-TV verfügbar sein und erst später als Kauf-DVD in die Läden kommen. Auch Apple experimentiert schon seit geraumer Zeit mit Rental-Modellen auf AppleTV parallel oder sogar schon vor der Kinopremiere. Möglicher Nebeneffekt: die Eindämmung zirkulierender Raubkopien.

Was wir hier gerade erleben: das Fernsehen wird vor unser aller Augen umprogrammiert. Vergangene Woche hat Amazon bekanntgegeben, dass Woody Allen eine TV-Serie für das Online-Unternehmen schreiben und auch selbst Regie führen wird. Seine allererste TV-Serie überhaupt, nach über 60 Jahren Film.

 

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Diskutiert mit mir: Wie seht Ihr heute fern? Ist das lineare Fernsehen noch zu retten? Was müsste klassisches Fernsehen leisten, um Euch zu begeistern?

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13 Kommentare
  1. Volker schreibt:

    Interessanter Beitrag! Danke dafür.
    Zuerst: Ich habe seit zehn Jahren keinen Fernseher mehr. Ein- bis zweimal im Monat einen Spielfilm am Laptop (meistens DVD), das war’s. Mehr schaffe ich zeitlich nicht.
    Wenn ich mich so umschaue, sind die Zuschauer, die sich von RTL, PRO7/SAT1 und Co berieseln lassen, noch in der Mehrzahl. Die Jungen (die ja eine Minderheit sind) gucken nebenher Youtube (oder umgekehrt). Meiner Meinung nach wird sich das Fernsehen, ob linear oder nicht, in naher Zukunft erübrigen. „Klassisches“ Fernsehen könnte mich begeistern, wenn es mich richtig überrascht. Das ist aber echt schwer, weil ich ja nicht gucke und nur viral zu kriegen bin.
    LG Volker

    • Richard schreibt:

      Was Du beschreibst, betrifft heute sicher noch eine Minderheit. Allerdings glaube ich, dass das klassische lineare Fernsehen immer mehr Zuschauer und Aufmerksamkeit an Streaming-Dienste verlieren wird. Ausnahme: Breaking News und Live-Events (Fussball etc.). Was ich mich frage: Wie lang wird es dauern, bis Amazon, Apple oder Google die Fussball-Bundesliga-Rechte (oder vielleicht günstiger: gleich den ganzen DFB kauft :-)

  2. Uli schreibt:

    „Demnächst will Amazon sogar die klassische Spielfilm-Verwertungskette (Kino-Videothek-Kauf-DVD-Fernsehen) durchbrechen.“
    Darauf bin ich gespannt, momentan scheint die Verwertungskette bei klassischen TV Serien in Deutschland (da wo wir alle wohnen) nämlich wie folgt auszusehen:
    Pay TV – Video on Demand – Free TV – DVD/BluRay – Subscription Video on Demand

    Dazwischen liegen aktuell noch riesige Zeiträume und absurde Preisspannen. Wenn wir uns beispielsweise mal „Game of Thrones“ ansehen, lief die vierte Staffel bereits im April 2014 in den USA und 1-2 Tage später hierzulande im Pay TV auf „Sky“. Einige Wochen danach folgte dann die synchronisierte deutsche Fassung, ebenfalls auf einem Sky Sender. Auch relativ zeitnah gab es die Folgen bei iTunes und Amazon Instant Video zu sehen, aber nur zu Einzelabruf-Apothekenpreisen die dem einer DVD/BluRay kaum nachstehen, dafür beispielsweise keinen Zweikanalton oder Untertitel bieten (von DRM gar nicht zu reden).

    Jetzt, über 9 Monate später kommt die Staffel in’s Free TV und damit ist RTL 2 einer der schnellen Sender. Die DVD wird erst Ende März in den Verkauf gehen, also bald ein Jahr nach der Erstausstrahlung. Und im „Subscripted Video on Demand“ ist die Serie bisher überhaupt nicht angekommen oder wurde wegen den Free TV Ausstrahlungen gerade wieder aus dem Programm genommen.

    SVOD Dienste, die alle als den neuen heißen Scheiß abfeiern, kommen in der Verwertungskette aktuell noch ganz unten bzw. hinten. Bei „Vikings“ beispielsweise das gleiche, da gab es die zweite Staffel bei Amazon für Abonnenten, aber jetzt wo Pro7 mit der Free TV Ausstrahlung um die Ecke kommt, ist die zweite Staffel nicht mehr verfügbar. Bei Kinofilmen war vor Jahresende das gleiche zu beobachten, hier scheint ein wildes Geschachere um Ausstrahlungsrechte statt zu finden.

    • Richard schreibt:

      Du hast Recht. Das von Dir sehr präzise geschilderte Chaos, beweist aber umso mehr, wie plötzlich Bewegung in die klassische Verwertungskette kommt. Was wir gerade erleben gab es so noch nie in der über 50 jährigen TV-Geschichte! Und wie Henrik sagt: Wer am Ende profitiert ist der Zuschauer: bessere Inhalte.

Willkommen!