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Vor rund 100 Jahren haben Experten niedergeschrieben, wie sie sich die Zukunft vorstellen – sprich – die Zukunft, in der wir heute leben. Dabei lieferten sie neben einigen Kuriositäten auch präzise Beschreibungen von Amazon, Skype oder dem iPhone.

 

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Grafik: Gilles Roman

 

„Am Neujahrstage 2009 (…) bricht eine über den ganzen Planeten verzweigte Verschwörung der Schuljugend zwischen zwanzig und dreißig Jahren aus. Die erste Gewalttat der Revolution ist, in gewaltigen Emigranten-Zeppelins alle Journalisten auf den Mars zu verschicken.“

Ellen Key: „Die Frau in hundert Jahren“

 

Journalisten – von einem Mob zum Mars geschossen – was sich wie der Wunsch vieler Pegida-Anhänger liest, stammt aus einem Buch, das 1910 erschienen ist. In „Die Welt in 100 Jahren“ beschäftigt sich ein gutes Dutzend Autoren mit der Zukunft – sprich – mit der Zeit, in der wir heute leben.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts ernähren wir Menschen uns ausschließlich durch Esspillen. Alkohol, Koffein und Tabak sind abgeschafft. Nachrichten verschickt man sich per „Lufttrompete“ (hübscher Name für WhatsApp). Menschen leben auf künstlichen Inseln (soweit so gut) – von Walen gezogen. Reiche Familien wohnen gar in den Wolken und sind durch Himmels-Aufzüge mit der Erde verbunden.

 

luebbert07Die Zukunft, die nie war

Daneben gibt es aber auch viele Ideen, die durchaus plausibel klingen und bei denen man sich fragt, weshalb das Eine oder Andere davon nicht längst realisiert worden ist. Eine Universalzeit zum Beispiel, um sich dem Problem der Zeitverschiebung zu entledigen. Die Stimmabgabe bei Wahlen vom jeden Ort der Erde aus. Ausländer die als Landsmännern gelten, weil der Mensch durch Errungenschfaten wie der Luftfahrt längst zum „Weltbürger“ geworden sei.

Am erstaunlichsten jedoch all jene Apparate und Entwicklungen, die das Buch in verblüffender Präzision vorwegnimmt: vom iPhone bis zur Energiewende landen die Visionäre hier mitunter erstaunliche Treffer. Und das in einer Zeit, in der die Pferdekutschen das Straßenbild prägten: Die Glühbirne und der erste Bewegtbild-Film sind keine 15 Jahre alt. Das Telefon ein Luxusgut. Den Brüder Wright gelingt der erste Motorflug. Ford baut die ersten „Autos für jedermann“.

 

Das Buch als Gratis-Download

Ich hoffe Ihr habt beim Lesen dieses Blogposts genauso viel Spaß wie ich bei der Zusammenstellung. Wer die zugrundeliegenden Aufsätze im Original lesen möchte, kann das hier: Die Neuauflage des Buches „Die Welt in 100 Jahren“ (Amazon Partner-Link) im OLMS-Verlag erschienen (in Sütterlin Fraktur-Schrift!). Wem die elektronische Version genügt, sämtliche Orginaltexte und Illustrationen stehen, dank Gutenberg-Projekt, auch als eBook kostenlos zum Download bereit.

 

luebbert04Das iPhone

„Die Bürger der drahtlosen Zeit werden überall mit ihrem ‚Empfänger‘ herumgehen, der irgendwo, im Hut oder anderswo angebracht und auf eine der Myriaden von Vibriationen eingestellt sein wird, mit der er gerade Verbindung sucht. Einerlei, wo er auch sein wird, er wird bloß den Stimm-Zeiger auf die betreffende Nummer einzustellen brauchen, die er zu sprechen wünscht, und der Gerufene wird sofort seinen Hörer vibrieren oder das Signal geben können, wobei es in seinem Belieben stehen wird, ob er hören oder die Verbindung abbrechen will.“ 

„Solange er die bewohnten und zivilisierten Gegenden nicht verlassen wird, wird er es nicht nötig haben, auch einen ‚Sendapparat‘ bei sich zu führen, denn solche „Sendstationen“ wird es auf jeder Straße, in jedem Omnibus, auf jedem Schiffe, jedem Luftschiffe und jedem Eisenbahnzug geben (…)“ 

luebbert05„Auf seinem Wege von und ins Geschäft wird er seine Augen nicht mehr durch Zeitunglesen anzustrengen brauchen, denn er wird sich in der Untergrundbahn, oder auf der Stadtbahn, oder im Omnibus oder wo er grad’ fährt, und wenn er geht, auch auf der Straße, nur mit der „gesprochenen Zeitung“ in Verbindung zu setzen brauchen, und er wird alle Tagesneuigkeiten, alle politischen Ereignisse und alle Kurse erfahren, nach denen er verlangt.“ 

(…) im Grunde ist es eigentlich nichts weiter, als die geniale Kombination von Kinematograph, Telautograph, Telephon und wie die großartigen Vorläufer-Erfindungen desselben alle heißen.

(Robert Sloss: „Das drahtlose Jahrhundert“)

 

luebbert03Selbststeuernde Fahrzeuge

„Auch das Reisen wird im drahtlosen Jahrhundert eine fabelhafte Umgestaltung erfahren. Es wird mit einer riesigen Schnelligkeit auch eine großartige Sicherheit verbinden. Schon jetzt haben die ‚drahtlosen Techniker‘ den Aerophor nicht nur erfunden, sondern auch derart vervollkommnet, daß ein automatischer Signalapparat dem Lokomotivführer selbsttätig anzeigt, wenn ein anderer Zug auf demselben Schienenstrang läuft und sich in einer Entfernung von nur zwei englischen Meilen befindet. Natürlich gibt der Apparat auch die Richtung an, in der dieser Zug sich bewegt. Dadurch sind die Lokomotivführer der beiderseitigen Züge imstande, die Fahrt zu verlangsamen oder zu halten oder eventuell auf ein anderes Gleise zu führen. In jedem Falle aber ist ein Zusammenstoß ganz unmöglich.“

„Derselbe Apparat warnt den Seemann bei schwerem Nebel und kündigt ihm die Nähe eines andern, seinen Kurs kreuzenden, oder in seinem Kurs auf ihn zufahrenden Schiffes an. Und jedes andere, in einer gewissen Entfernung befindliche Schiffahrtshindernis, wird ihm ebenso sicher durch den Apparat signalisiert, und er wird ihm auch die genaue Entfernung angeben können, in der es sich befindet. Ja, man hat den Apparat sogar derart konstruiert, daß er beim Signalisieren der Gefahr sofort im Maschinenraum nicht nur das Haltesignal gibt, sondern auch die Maschinen selber automatisch zum Stillstand bringt.“

(Robert Sloss: „Das drahtlose Jahrhundert“)

luebbert09Amazon

„Ueberhaupt wird das Einkaufen zu jener Zeit ein noch größeres Vergnügen sein, als jetzt. Man wird einfach von seinem Zimmer aus alle Warenhäuser durchwandern können und in jeder Abteilung Halt machen, die man eingehender zu besichtigen oder wo man etwas auszuwählen wünscht.“

„Und alles wird leibhaftig vor ihren Augen erscheinen; denn natürlich werden alle die Bilder in ihren natürlichen Farben zu sehen sein.“

„(…) Wir lassen uns telautophonisch mit Paquin verbinden, suchen uns eine Brauttoilette aus, geben (…) Maß an und lassen uns das Kleid durch drahtlosen Luftmotor hierherkommen.“

(Robert Sloss: „Das drahtlose Jahrhundert“)

 

Zeitungssterben

„Zeitungen, muß bemerkt werden, gab es 2009 nicht mehr. Der gesamte Nachrichtendienst auf der Erde, und auch vom Mars herüber wurde durch ein weitangelegtes System drahtloser Telegraphie vermittelt, an welches jedes private Haus von irgendwie bemittelten Besitzern angeschlossen war.“

(Karl Peters: „Die Kolonien in 100 Jahren“)

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Skype

„Liebespaare und Ehepaare werden nie von einander getrennt sein, selbst wenn sie Hunderte und Tausende Meilen von einander entfernt sind. Sie werden sich immer sehen, immer sprechen, kurzum, es wird die Glückszeit der Liebe angebrochen sein und die des Strohwitwertums vernichtet; denn künftighin wird sich die leibliche Gattin stets davon überzeugen können, was ihr Herr Gemahl treibt; aber auch der Herr Gemahl wird ganz genau wissen, wie und ob seine Gattin nur an ihn denkt.“

(Robert Sloss: „Das drahtlose Jahrhundert“)

 

Kino, TV und Computeranimationen

„Obgleich auch die kleinste Ortschaft ihr Theater haben wird, werden doch die Schauspieler nur in Newyork, London, Paris oder Wien leben und auch nur dort spielen. Die Bühne solch einer Kleinstadt wird ein einfacher Vorhang sein, und der ‚Hamlet‘, der in. London gespielt wird, wird mittelst Fernseher, Fernsprecher und Fernharmonium auf dem Schirm, der die Bühne in Chautauqua ersetzt, reproduziert werden.“

(Hudson Maxim: „Das 1000 jährige Reich der Maschinen“)

„Was die öffentlichen Vergnügungen betrifft, so hat das soziale Verantwortlichkeitsgefühl Konzerte ohne Musiker und Theater ohne Schauspieler geschaffen. Denn seit die Pianolas, die Phonographen und die Marionetten so phänomenal vervollkommnet worden sind, braucht man nur elektrische Knöpfe, damit der Kunstgenuß in Gang gesetzt wird.“

(Ellen Key: „Die Frau in hundert Jahren“)

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Die Energiewende

„Bei dem jetzigen Stande des Kohlenverbrauchs werden alle jene großen Kohlenlager, welche die Sonne in der Kohlenzeit für uns angelegt hat, binnen wenigen Generationen aufgebraucht sein. Aber nicht die Gefahr des Kohlenmangels allein droht uns, wir werden auch, wie es Lord Kelvin prophezeit hat, unsere Luft dabei völlig verbrannt haben; denn jede Tonne Kohle, die von uns verbraucht wird, macht 12 Tonnen Luft zum Atmen untauglich.“

„Möglicherweise erfinden wir eine Art Motor, der die Wärme nutzbar machen kann, die von den Sonnenstrahlen ausgeht. (…) Freilich ist die Wasserkraft selbst nichts anderes als eine indirekte Ausnutzung der Sonnenwärme.“

(Hudson Maxim: „Das 1000 jährige Reich der Maschinen“)

Der Mindestlohn

„Die Bestimmung der Löhne wird in hohem Grade öffentlichen Charakter tragen. Oeffentliche Lohnämter, zusammengesetzt aus Vertretern der Allgemeinheit und der Berufsgruppen, werden Mindestlöhne festsetzen, und Lohntarifen, die ebenfalls als Mindestsätze zu gelten haben, gesetzliche Kraft geben. In gleicher Weise werden Bestimmungen über die Länge des Arbeitstages in öffentlichen und Privatunternehmungen getroffen werden. Alles das kann man mit großer Sicherheit als Folge des Sieges der Arbeiterdemokratie voraussagen, weil es in Ansätzen schon heute vorhanden ist und Schritt für Schritt weiter entwickelt wird.“

(Ed Bernstein: „Das soziale Leben in 100 Jahren“)

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Die Emanzipation

„Alle Männer und Frauen haben den Tag in vier gleiche Arbeitspensa eingeteilt: sechs Stunden Schlaf, sechs Stunden Arbeit bei den elektrischen Drückern, sechs Stunden im Parlament und sechs Stunden Gesellschaftsleben.“

„Der männliche und der weibliche Typus sind in so hohem Grade verschmolzen, daß der Blick nur durch gewisse, aus Zweckmäßigkeitsgründen noch beibehaltene Verschiedenheiten in der Kleidung die Geschlechter unterscheiden kann.“

(Ellen Key: „Die Frau in hundert Jahren“)

„Je mehr die Frau auf das Tätigkeitsgebiet des Mannes übergreift, je vielseitiger sie sich im öffentlichen Leben bestätigt (…), desto rascher wird die Frau dem Manne nachkommen und aus gleichen Gründen auch stärkeren Bartwuchs teilhaft werden. Heute sollen schon 10 Prozent der Frauen stärkeren Bartwuchs zeigen; dieser Prozentsatz wird sich konsequent steigern und in freilich noch sehr ferner Zukunft wird der Bart nicht mehr das Attribut des Mannes sein.“

(Friedrich Knauer: „Das neue Jahrhundert“)

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Drohnen

„Die Kriegsführung der Zukunft wird einem Schachturnier gleichen. Jede Bewegung wird dem Auge der ganzen Welt sichtbar sein, und Verstecke und Scheinmanöver werden unmöglich sein. Die Zeitungen werden ihre Luftkorrespondenten haben die über allen Schlachtfeldern, über allen Lagerplätzen und allen Flotten schweben und jede Bewegung der Seeschiffe und Landheere wird man in jedem Hause verfolgen und jeder seine Kritik üben können.“

(Hudson Maxim: „Das 1000 jährige Reich der Maschinen“)

„Der Oberbefehlshaber wird nicht erst darauf warten müssen, daß man ihm berichtet, wo der Gang der Schlacht ist, sondern er wird das ganze Schlachtfeld selber übersehen, und nicht das eine Schlachtfeld allein, sondern das ganze Land, in welchem die kriegerischen Operationen vor sich gehen. Er wird sogar imstande sein, nach seinem Willen nicht nur die große Armeekolonne in Bewegung zu setzen, sondern auch die kleinen Abteilungen. Sein Feldherrnblick allein wird entscheiden; denn er in seinem Zimmer oder in seiner Baracke wird alles sehen, die Bewegungen seiner Armeen, sowie die der feindlichen Heereshaufen. Die Berichterstattung wird natürlich auf außerordentlicher Höhe stehen; denn jedes, selbst das allerkleinste Blättchen, ja jeder Abonnent desselben wird sich den Luxus erlauben können, von seinem Zimmer aus den Kriegsereignissen beizuwohnen und alle Details derselben zu sehen.“

(Robert Sloss: „Das drahtlose Jahrhundert“)

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Der Kalte Krieg

„Wir sind im Besitze von so gewaltigen Vernichtungskräften, daß jeder von zwei Gegnern geführte Kampf nur Doppelselbstmord wäre. Wenn man mit einem Druck auf einen Knopf, auf jede beliebige Distanz hin, jede beliebige Menschen- oder Häusermasse pulverisieren kann, so weiß ich nicht, nach welchen taktischen und strategischen Regeln man mit solchen Mitteln noch ein Völkerduell austragen könnte.“

(Bertha von Suttner: „Der Frieden in 100 Jahren“)

 

luebbert12Die EU 

„Sämtliche europäischen Staaten, keinen ausgenommen, bilden in hundert Jahren eine Staatengemeinschaft, welche den gegenseitigen Krieg ebenso ausschließt, wie heute etwa ein Krieg zwischen dem Königreich Bayern und dem Königreich Preußen oder dem Deutschen Reiche unmöglich ist. Der zunehmende Luftverkehr hat eine solche Menge gemeinsamer Bedürfnisse und Interessen geschaffen, daß in hundert Jahren sämtliche europäischen Staaten als Staatengemeinschaft ein gemeinsames europäisches Parlament und eine gemeinsame europäische Gesetzgebung haben. Durch die gemeinsame Gesetzgebung und durch die Verfassung der europäischen Staatengemeinschaft ist aber ein Krieg zwischen europäischen Staaten nicht nur ausdrücklich untersagt, sondern auch tatsächlich zur Unmöglichkeit geworden.“

(Rudolf Martin: „Der Krieg in 100 Jahren“)

Illustrationen:  Ernst Lübbert

Zu diesem Thema:

Das Jahr 2015 – Oder: Die Zukunft, die nie war

Journalismus der Zukunft: We’re fucked.

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2 Kommentare
  1. Irma Walter schreibt:

    Ein Buch in Sütterlin-Schrift? Das müsste ja von Hand geschrieben sein… Bücher wurden in Fraktur gedruckt. Ich sehe in der Amazon-Ausgabe wohl eine erste Originalseite. Ob die OLMS Ausgabe in Fraktur erscheint, das ist fraglich. (Wer unter den jungen Leuten kann denn das heute noch lesen?) Das müsste in der Beschreibung stehen…

    • Richard schreibt:

      Mea culpa. Hab’s korrigiert. Vielen Dank für den Hinweis!

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