Spotlight – ein Plädoyer für unabhängigen Journalismus. Der Film zeigt, welche Bedeutung klassische Medien auch in Zukunft für unsere Gesellschaft haben können, wenn es uns gelingt, traditionelle journalistische Tugenden und neue Technologien zusammenzuführen. Dazu 12 Dinge, die mich der Film gelehrt hat.

 

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Der Überraschungsfilm auf Oscar-Kurs

„Spotlight“, so heißt das Investigativ-Rechercheteam des Boston Globes. Spotlight ist auch der Titel einer der besten Filme, die ich seit langem gesehen habe. Nominiert für 6 Oscars, darunter in der Kategorie „Bester Film“.

Spotlight erzählt die Geschichte von der Enthüllung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche. Ein Film, der mich daran erinnert, weshalb ich einst Journalist werden wollte. Ein Film, der wachrüttelt, indem er uns vor Augen führt, was aus diesem einstigen Selbstverständnis geworden ist.

 

 

Die Entstehungsgeschichte

Die Idee zum Film folgte einem Studienprojekt der Columbia Journalism School. Die Studenten hatten die Aufgabe, die Pulitzer-preisgekrönte Recherche des Boston Globe zu dokumentieren. Aus dem Dossier entstand die Vorlage für das Drehbuch, das dann ein Jahrzehnt später verfilmt wurde.

Was mir an dem Film besonders gefällt, ist seine unaufgeregte Dramaturgie. Die Charaktere wirken authentisch, nicht einmal Täter und Hintermänner werden als finstere Gesellen überzeichnet. Motive und Normalität, wie die katholische Kirche ihre gesellschaftliche Macht nutzt, um den sexuellen Missbrauch an Kindern zu vertuschen, sind nachvollziehbar und vielleicht gerade deshalb so erschreckend.

 

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Wiedervereint: das Original-Spotlight-Team

 

Die Zukunft liegt in der Vergangenheit

Aber: Spotlight ist kein Film über die katholische Kirche. Spotlight ist ein Film über den Journalismus und seine gesellschaftliche Rolle in einer zunehmend digitalen Welt. Spotlight stellt Fragen nach dem Vertrauensverlust der Gesellschaft gegenüber den Medien. Weshalb Begriffe wie „Lügenpresse“ oder „Mainstream-Medien“ in der Bevölkerung verfangen.

Spotlight zeigt aber auch Beispiele, wo Journalismus noch funktioniert, und – was mich natürlich besonders fasziniert – was er sein könnte, wenn es uns gelingt, die alten journalistischen Tugenden mit den neuen Technologien sinnvoll in Einklang zu bringen.

 

12 Dinge, die mich Spotlight gelehrt hat (Spoiler-Alarm!)

Wenn Ihr den Film unvoreingenommen sehen wollt, dann ab hier besser aufhören zu lesen, denn Spoiler sind für das Verständnis der folgenden Thesen unvermeidbar. Solltet Ihr dennoch weiterlesen, verspreche ich, mich auf das Wesentliche zu beschränken, um nicht zuviel von der Handlung vorwegzunehmen.

 

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1. Mehr Zeit und Geld investieren

Eine der zentralen Fragen von Spotlight fällt gleich zu Beginn des Films, als der Staatsanwalt die Journalisten warnt, worauf sie sich mit ihrer Recherche einlassen: „Ein Rechtsstreit mit der Katholischen Kirche? Glauben Sie, Ihre Zeitung hat die Ressourcen dafür?“

Das Investigativ-Team des Boston Globes besteht seinerzeit aus vier Personen (heute sind es sechs). Vier Reporter, die für ihre Projekte oft über ein Jahr recherchieren können, ohne in dieser Zeit auch nur einen einzigen Artikel veröffentlichen zu müssen.

Auf die Frage von Spotlight-Teamleiter (Michael Keaton) an den neuen Chefredakteur, ob diese Art zu arbeiten ein Problem darstelle, antwortet dieser: Die Auflage gehe zurück, das Internet habe damit begonnen, das Anzeigengeschäft anzugreifen, „I’m gonna need to take a hard look at things“.

Trotz Spardruck beschließt der Chefredakteur, das Recherche-Team nicht dem Rotstift zu opfern. Eine kluge Entscheidung, die dem Boston Globe später nicht nur einen Pulitzer Preis einbringt, sondern die sich am Ende sogar ökonomisch bezahlt macht. Die Zeitung ist in der Lage, rund 600 Folge-Artikel zum Missbrauchsskandal zu produzieren. Texte, die ohne das Investigativ-Team und die umfassende Recherche im Vorfeld niemals möglich gewesen wären.

Fazit: Von nichts kommt nichts. Wer an der falschen Stelle spart, wird in der Mittelmäßigkeit untergehen, das eigene Ende allenfalls hinauszögern.

 

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2. Alternative Finanzierungswege finden

Noch bevor der Film beginnt, sticht ein Logo ins Auge: das Firmenlogo von First Look Media. Tatsächlich: Unter den ausführenden Produzenten von Spotlight findet sich ebay-Gründer Pierre Omidyar. Der Multi-Milliardär ist Medien-Mäze, der unter anderem die Journalismus-Plattform The Intercept finanziert.

Es mag Zufall sein, dass ausgerechnet First Look Media diesen Film co-finanziert. Dennoch passt es ins Bild, dass qualitative hochwertige Inhalte heutzutage durch Selfmade-Web-Mogule wie Jeff Bezos oder eben Omidyar unterstützt werden – aus was für Motiven auch immer.

Fazit: Journalismus wird sich vermutlich auch in Zukunft nicht aus sich heraus tragen und ist daher auf alternative Finanzierungsquellen angewiesen. Mäzentum, Stiftungen oder Genossenschaften könnten die klassische Werbefinanzierung ergänzen.

 

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3. Sich nicht durch Nähe korrumpieren lassen

Spotlight zeigt, welchem Druck aber auch welchen Verführungen Medienmacher ausgesetzt sind. Ob auf dem Golfplatz oder auf einem Charity-Event – Politik, Wirtschaft, Medien und Klerus wirken wie eine eingeschworene Gemeinschaft, in der man sich kennt, sich gegenseitig Gefälligkeiten erweist.

In einem Vier-Augen-Gespräch zwischen dem Chefredakteur des Boston Globe und dem Kardinal wird diese Nähe besonders deutlich. Der Kirchenmann erwähnt die gemeinsamen Freunde an der Harvard-Universität. Er bietet dem Journalisten die Zusammenarbeit an, um offene Fragen aus der Welt zu schafffen.

Fazit: Ob Technik-Blogger oder Hauptstadtkorrespondent – Journalisten laufen Gefahr, sich durch Nähe zu den Personen, über die sie berichten, korrumpieren zu lassen. Um der wachsenden Vertrauenskrise in der Bevölkerung entgegenzuwirken, müssen Journalisten noch penibler auf ihre Unabhängigkeit achten und für ihr Publikum transparent sein.

 

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4. Auf Empfang schalten

Gleich mehrfach thematisiert der Film den Umstand, dass der Kindesmissbrauch der katholischen Kirche schon viel früher ans Licht hätte kommen können, wären die Journalisten offener gewesen für die Hinweise aus der Bevölkerung.

So schildert der Vertreter eines Opferverbandes, wie er mit seinen Berichten über Jahre hinweg beim Boston Globe auf taube Ohren gestoßen ist. An einer anderen Stelle beklagt sich ein Anwalt darüber, dass die Redaktion seine Post mit geheimen Unterlagen offenbar ignoriert habe.

Fazit: Wir müssen lernen, besser zu empfangen, statt nur zu senden. Gerade die sozialen Netzwerke bieten die einzigartige Chance, den Graben zum Publikum und damit potentiellen Tippgebern zu überwinden.

 

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Neu frisst alt – mehr Symbolik geht nicht

 

5. Dem Volk nicht nach dem Maul schreiben

Was wie das genaue Gegenteil von Punkt 4 klingt, stellt eine wichtige Ausnahme von der Regel dar: Nur weil man sein Publikum ernst nimmt, bedeutet das nicht, dass man ihm nach dem Maul schreibt.

User-Daten verleiten dazu, Themen noch exakter auf die Wünsche des Publikums zuzuschneiden. Doch manchmal muss man die Leser auch mit unangenehmen Wahrheiten konfrontieren. Im Vier-Augen-Gespräch warnt der Verleger seinen Chefredakteur, dass 53 Prozent der Boston-Globe-Abonnenten Katholiken sind. Der Chefredakteur antwortet: Glauben Sie, es interessiere diese Leser nicht, was in ihrer Kirche vor sich geht?

Fazit: So sehr die Nutzerdaten auch dazu verleiten auf Nummer sicher zu gehen – wir sollten den Mut haben, eigene Schwerpunkte zu setzen und der Versuchung widerstehen, unsere Themen allein auf den Publikumsgeschmack hin auszurichten.

 

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Mark Ruffalo (links) und sein Protegé Mike Rezendes (rechts)

 

6. Mehr Ehrgeiz bei der Recherche entwickeln

Wenn mir ein Satz aus meiner Journalistenausbildung in den USA in Erinnerung geblieben ist, dann dieser: „Never take no for an answer!“. Ein Motto, wie auf den Leib geschrieben für Mike Rezendes (Oscar für Mark Ruffalo?). Dessen Mischung aus Beharrlichkeit und Ausdauer führen dazu, dass der Globe-Reporter am Ende an die Beweise kommt, die das Lügen-Konstrukt der Kirche zum Einstürzen bringt.

Viel zu oft habe ich es in meiner Karriere erlebt, dass wir Geschichten nicht nachgegangen sind, weil wir nicht wussten, wie wir an die nötigen Informationen kommen oder schlicht und ergreifend aus Bequemlichkeit.

Fazit: Journalismus muss heute mehr bieten, als das reine Wiederkäuen von Pressemitteilungen oder vorformulierten Zitaten. Googeln kann unser Publikum auch.

 

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7. Bessere Teams bilden

Was das Spotlight-Team so einzigartig macht, ist die gelungene Arbeitsteilung. Im Film wird deutlich, wie die Charaktere ihre individuellen Talente in die Rechereche mit einbringen: Walter Robinson, der erfahrene Teamleiter, Michael Rezendes, der Bluthund. Sacha Pfeiffer, die Vertrauenswürdige, Matt Carroll, der Datenjournalist sowie Marty Baron, der Chefredakteur, der nicht nur die Recherche anstößt, sondern der auch das Rückgrat besitzt, das Projekt gegen alle Widerstände zu verteidigen.

Fazit: Medien-Manager sollten Redaktionen so organisieren, dass sich die unterschiedlichen Fähigkeiten der Mitarbeiter ergänzen, nicht doppeln oder gegenseitig behindern. Oft werden vorhandene Talente nicht genutzt, weil sie nicht erkannt werden oder an der falschen Stelle sitzen. Die Folge: Resignation und innere Kündigung.

 

Vor einem Jahr habe ich Spotlight-Journalist Matt Carrol zur Zukunft des Journalismus befragt  

 

8. Digitale Recherche-Skills entwickeln

Im ganzen Film kommen so gut wie keine digitalen Gadgets zum Einsatz (das Jahr 2001). Kein Google, kein Smartphone, kein Twitter weit und breit! Stattdessen Papierarchive, Bibliotheken sowie das Wälzen dicker Bücher. Auch verbringen die Reporter viel Zeit mit Klinkenputzen und persönlichen Gesprächen. Unfassbar, wie analog wir noch vor 10 Jahren gearbeitet haben!

Der einzige wirkliche Einsatz eines Computers erfolgt gegen Ende, wenn der Spotlight-Computernerd Matt Carroll die Rechercheergebnisse in einer Excel-Tabelle zusammenträgt, um die Dimension des Skandals zu erfassen (ich bin Carroll, der heute das MIT Media Lab leitet, letztes Jahr am Rande einer Veranstaltung begegnet – siehe Video oben).

Nicht auszudenken, zu was ein solches Recherche-Team heute in der Lage wäre, mit der Unterstützung von Social Media, Big Data und der Hilfe einiger fitter Programmierer!

Fazit: Mit der voranschreitenden Digitalisierung verlagert sich die klassische Recherche immer mehr ins Netz. Redakteure müssen u.a. auch Grundkenntnisse im Coding besitzen, um zu wissen, wie sie große Datenmengen auswerten um an Informationen zu gelangen, jenseits von Google.

 

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9. Kurs halten

Im redaktionellen Tagesgeschäft sind wir Journalisten oft Getriebene, weniger die Treibenden. Heute Ebola, morgen Griechenland, übermorgen Flüchtlingskrise. Ständig eine neue Sau, die durch’s digitale Dorf gejagt wird. Keine Zeit, ein Thema in die Tiefe zu recherchieren, ohne auf die Deadline, auf Quoten, Klicks oder Likes zu schielen.

Eine Rechercheleistung wie von Spotlight erfordert nicht nur Zeit und Geld, sondern Fokus (mit ‚k‘). Nicht einmal als am 11. September die Flugzeuge ins World Trade Center rasen, stellt der Globe die Recherche an dem Missbrauchskandal komplett ein.

Fazit: Nicht auf die Konkurrenz oder kurzfristige Erfolge schielen. Einen langen Atem haben und in die Kraft der eigenen Recherche vertrauen.

 

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10. Fehler einräumen

Der Film glorifiziert das Journalisten-Team nicht. So lässt Spotlight nicht unerwähnt, dass der Teamleiter den Skandal schon Jahre früher hätte aufdecken können, wäre er den Hinweisen, die es schon damals gab, nachgegangen. Er hatte das Ausmaß des Skandals falsch eingeschätzt und beerdigte die Story als Einspalter im Vermischten.

Fazit: Wir brauchen eine Fehlerkultur. Uneinsichtigkeit und das Abstreiten eigener Versäumnisse (Vorurteile?) hat uns viel Vertrauen in der Bevölkerung gekostet und den Ruf der bewussten Täuschung eingebracht („Lügenpresse“). 

 

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11. Routine überwinden

Wenn man einen Job zu lange macht, schleicht sich Routine ein, man wird blind für Wege jenseits des getrampelten Pfades.

Ausgerechnet der neue Chefredakteur, der gerade erst nach Boston gezogen ist und der die Verhältnisse vor Ort nicht kennt, wird auf die Geschichte mit den Missbrauchsfällen in der Stadt aufmerksam und beginnt, die richtigen Fragen zu stellen.

Wie das Rechercheteam im Interview (Video ganz unten) schildert, hat es offenbar dieses Außenblicks bedurft, um das Schweigen zu brechen. Ohne diesen frischen Impuls wäre niemand innerhalb der Redaktion auf die Idee gekommen, der Geschichte überhaupt noch einmal nachzugehen.

Fazit: Routine überwinden! Sich und seine eigenen Positionen immer wieder neu hinterfragen.

 

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12. Transparenz leben

„Put the original letters online“, weist der Chefredakteur sein Team an, um den Lesern die Chance zu geben, die entscheidenen Dokumente im Netz einzusehen. Ein für die damalige Zeit (Januar 2002) ungewöhnlicher Schritt.

Bis heute haben wir Journalisten die Angewohnheit, unsere Informationen, wenn überhaupt, eher halbherzig zu belegen. Nicht selten werden Statements aus dem Zusammenhang gerissen, Zitate unzulässig verkürzt. In der analogen Zeit kamen wir damit durch. Die Leser mussten uns – nicht zuletzt aus Mangel an Alternativen – schlicht und ergreifen vertrauen.

Fazit: Das Publikum ist längst nicht mehr so passiv wie einst, hat Zugang zu den gleichen Quellen wie wir und erwartet daher heute mehr Transparenz. 

 

Das Spotlight-Teams diskutiert den Film und die Herausforderungen des Journalismus

 

Zusammenfassung

Der Journalismus ist alles andere als tot. Aber: traditionelle journalistische Tugenden, wie Neugier, Recherche, Ausdauer und Standhaftigkeit sind über die digitalen Wende-Jahre unter die Räder gekommen und müssen aktiv wiederbelebt werden.

Gleichzeitig müssen wir eine Art digitale Empathie entwickeln, die neuen Kommunikationstechnologien mitsamt ihrer Rückkanäle besser verstehen und für uns zu nutzen lernen.

Sig Gissler, langjähriger Vorsitzender des Pulitzer Kommittees, nennt diesen neuartigen Journalismus-Typus: The tra-digital journalist. Ein Journalist, der die traditionellen Tugenden eines klassisch ausgebildeten Journalisten mit den neuen Recherche- und Storytelling-Techniken der digitalen Welt in sich vereint.

Wenn wir Medien nicht länger analog oder digital denken, wenn es uns gelingt, das Beste aus beiden Welten neu zu kombinieren, könnte der Journalismus vor einer neuen Blütezeit stehen.

 

G logo circle grey Kopie 2Zum selben Thema meine Kolumne bei Kress.de: Wege aus der selbstverschuldeten Bedeutungslosigkeit

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7 Kommentare
  1. Inge Seibel schreibt:

    Danke für den Artikel, Richard. Der Film scheint ein „muss“ zu sein.

    • Richard schreibt:

      Ja, unbedingt. Lange her, dass ich einen vergleichbar Film über unsere Branche gesehen habe. ‚All the Presidents Men‘ vielleicht.

  2. Wolf Thieme schreibt:

    Ja, ja, ja, alles richtig. Das meiste davon war allerdings auch schon bei meiner Volontärsausbildung 1957-1959 richtig. Wieder mal Binsen zu Weisheiten gebündelt. Vieles habe ich nicht eingehalten und würde gern Asche auf mein Haupt schütten, habe allerdings nur Gasheizung.

    • Richard schreibt:

      Lieber Kollege, ich verstehe Ihre Kritik nicht. Genau DAS ist doch das Problem, das ich beschreibe. Wir haben Vieles von dem, was Sie offenbar in Ihrer Volo-Ausbildung gelernt haben, über die Jahre vergessen oder zumindest vernachlässigt (auch – aber nicht nur aus ökonomischen Gründen). Wenn das alles für Sie unnötige Binsen sind, gut für Sie!

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