Blockchain, Künstliche Intelligenz und Augmented Reality. So weit – so erwartbar. Und doch konnte die SXSW Interactive auch dieses Jahr mit so mancher Überraschung aufwarten. Eine davon: Die Tech-Konferenz im Herzen von Texas ist europäischer geworden.

 

Europäischer nicht wegen der vielen Deutschen, die das Festival mittlerweile bevölkern (Mercedes Benz ist dieses Jahr „Supersponsor“). Trump, Fake News und der Hass im Netz haben zu einer Art Techlash geführt. Es wäre überzogen, zu behaupten, die Amerikaner seien über Nacht glühende Fans von Datenschutz und Regulierung geworden. Und doch hatte ich den Eindruck werden diese Themen jetzt überall diskutiert. Ein Wort, das auf keinem Panel fehlen durfte: Responsibility – Verantwortung.

 

 

 

Eine Frage des Vertrauens

Die Edelman Gruppe, bekannt durch ihren alljährlichen Trust-Barometer, hat speziell für die SXSW eine Blitzumfrage gemacht. Während das Vertrauen in die Medien weltweit weiter schwindet (62 Prozent), sagen 84 Prozent der Southby-Teilnehmer, sie vertrauen den traditionellen Medienhäusern (Surprise! Unter den Konferenzbesuchern tummeln sich überproportional viele Journalisten :-).

Was die Sozialen Netzwerke betrifft, verhält es sich hier genau umgekehrt. Das Vertrauen in Google und Facebook liegt im internationalen Schnitt doppelt so hoch (40 Prozent) als innerhalb der SXSW-Tech-Gemeinde (20 Prozent). Große Skepsis unter den Konferenzbesuchern auch gegenüber der eigenen Regierung (nur 26 Prozent Vertrauen gegenüber 43 Prozent weltweit). Woran das liegt? Das habe ich den Auftraggeber der Studie, Richard Edelman, nach dem Panel gefragt:

 

 

Die Zukunft des Kapitalismus

Wie eingangs erwähnt zog sich das Thema „Verantwortung“ wie ein roter Faden durch die Konferenz. Exemplarisch dazu die Diskussionsrunde „The Future of Capitalism and Everything Else“ mit John Mackey, dem Gründer der Lebensmittelkette Whole Foods (letztes Jahr von Amazon übernommen – hier die lesenswerte Gründungsgeschichte). Seine These: Wenn die politische Führung als moralische Instanz für die Gesellschaft ausfällt, müssten Unternehmen diese Aufgabe übernehmen.

 

Dabei sei es entscheidend, dass die Executives verantwortungsvolles Handeln nicht länger nur als PR-Maßnahme zur eigenen Image-Politur verstehen (neuen Begriff gelernt: „Virtue Signaling“). Die Wirtschaft als moralische Instanz in der digitalen Gesellschaft. Marken mit Herz, Unternehmen mit Seele. Das beginne bei der Führung, und gehe weiter mit Fragen, wen man einstellt, wie man seine Mitarbeiter behandelt, wie man sie bezahlt.

Wenn es um gesellschaftliche Fragen wie Gleichberechtigung, Missbrauch oder Diskriminierung geht, müssten Unternehmen endlich Verantwortung übernehmen, offen Farbe bekennen, auf welcher Seite sie stehen. Wegducken und Schweigen sei keine Option mehr.

 

 

Danke für nichts, Facebook

Wie man es NICHT macht, demonstrierte Facebook dieses Jahr in Austin. Der Konzern hat es doch tatsächlich geschafft, das Thema Wahlen, Fake News und Hate Speech nahezu komplett tot zu schweigen. Stattdessen: Aus der Zeit gefallene Powerpoint-Präsentationen (zum Teil von 2016), Stockfoto-Orgien mit happy-hippen Menschen und viel auswendig gelerntes PR-Geblubber, das nach all den Debatten der zurückliegenden Monate geradezu grotesk anmutete. Kostprobe: „People love to share. … They love to connect with each other, to share meaningful conversations! … They express themselves in ways they couldn’t do before! … This is what they care about, to share their passions, to tell their stories!“

Nach der dritten, komplett Inhalte befreiten Facebook-Selbstbeweihräucherungs-Veranstaltung hat es mir dann gereicht. Ich klappte mein Laptop zu und ließ die klebrige Verkaufsshow über mich ergehen. Vielleicht, so dachte ich, bekomme ich ja NACH dem offiziellen Teil doch noch die eine oder andere inhaltliche Frage beantwortet. Die Speaker nach ihrem Auftritt spontan zu interviewen ist durchaus üblich auf der SXSW. Es gibt für solche Zwecke sogar extra Interview-Plätze vor den Konferenzräumen, die jeder benutzen kann. Also griff ich zum iPhone und näherte mich Tamá, einem von Facebook abkommandierten Sprechern. Doch kurz bevor ich mich ihm vorstellen konnte, passierte das hier:

 

 

Soviel zum Thema „video“ und „meaningful conversations“. Mein Gedanke nach drei verschenkten Facebook-Sessions: Wer nichts zu sagen hat, kommt besser erst gar nicht. Dass es durchaus möglich ist, selbstbewusst über Versäumnisse zu sprechen, hat Twitter-Mitgründer Ev Williams bewiesen. Auf einem Publishing-Panel mit Peter Kafka räumte der medium.com-Chef ein, dass man sich vor zwölf Jahren, als man hier auf der SXSW Twitter präsentierte, keinerlei Gedanken über mögliche Nebenwirkungen wie Hate Speech oder Fake News gemacht habe.

Chelsea Manning brachte es am letzten Tag der SXSW-Interactive auf die folgende Formel: Genau wie Ärzte sollten Software-Entwickler einem ethischen Code unterliegen.

 

Chelsea Manning: We need a code of conduct for coders

 

Elon Musks dystopische Big Bang Theorie

Kommen wir zu einem der Megathemen der Konferenz: Künstliche Intelligenz. Ausgerechnet Tech-Titan Elon Musk, der auf der SXSW wie ein Rockstar gefeiert wurde, legte bei seinem nicht angekündigten Besuch in Austin noch einmal nach: AI sei gefährlicher als nukleare Sprengköpfe, bei weitem. „Wir müssen Wege finden, dass die Einführung der digitalen Superintelligenz symbiotisch mit der Menschheit erfolgt.“

Der Visionär sprach von einem dunklen Zeitalter, das uns bevorstünde, schlug sogar vor, eine Gruppe von Menschen jenseits der Erde anzusiedeln, um unseren Planeten rekolonialisieren zu können, für den Fall, dass etwas schiefgeht. Bam!

 

 

Schwarmintelligenz und die Dummheit der Herde

Eine etwas optimistischere Vision vertraten die Wissenschaftler auf dem Panel „What AI Reveals About Our Place in the Universe“. Einig war man sich mit Elon Musk in einem Punkt: Wir stehen vor einer Zeitenwende. Was viele von uns aber außer Acht ließen, sei die Tatsache, dass auch die uns angeborene, menschliche Intelligenz vor einem gewaltigen Sprung stünde. Der Grund hierfür sei das Internet, das unsere Gehirne zu einem gigantischen Superhirn verschmelzen lasse. Stichwort: Schwarmintelligenz.

Die Vernetzung der Gehirne von Milliarden von Menschen durch das Web werde zu beachtlichen Netzwerkeffekten führen. Demonstriert wurde das an einem Experiment aus der jüngsten Vergangenheit: Die kollektive Intelligenz von 40 Personen hätten die Oscargewinner 2018 präziser vorhersagen können, als alle Experten aus den einschlägigen Fachkreisen. Die Trefferquote: 94% – und das obwohl die meisten Probanden die Filme noch nicht einmal gesehen hätten (hier die Ergebnisse der Studie).

Ähnlich bemerkenswerte Resultate kenne man aus dem Tierreich, wo es beispielsweise Bienen gelingt, im Kollektiv hochkomplexe Aufgaben zu lösen, obwohl das Gehirn einer Honigbiene nicht größer sei als ein Sandkorn. Also: Eine bessere Welt, dank Vernetzung? Mit Verweis auf die zunehmende politische Radikalisierung in den USA und Europa habe ich den Macher der Studie gefragt, ob es umgekehrt nicht auch so etwas wie eine Schwarmdummheit gibt. Hier seine Antwort:

 

 

Wir unterscheiden also zwischen Schwarmintelligenz (= gut, weil das beste Ergebnis für alle) und blindem Herdentrieb (= schlecht, weil dieser ins Verderben führt). Unsere politische Entscheidungsfindung heute basiere hauptsächlich auf Meinungsumfragen, auf einen Wettbewerb zwischen Kandidaten und Parteien (also Herden). Der Stanford-Gelehrte hofft, die Menschheit könnte hier von der Natur lernen und nach neuen Entscheidungsprozessen suchen, die auf kollektiver Intelligenz basierten und sich den oben beschriebenen Schwarmeffekt zunutze machten.

 

 

Die Natur schlägt zurück

Apropos Schwarmeffekt: Der lässt sich wohl nirgendwo besser beobachten als hier in Austin. Abend für Abend, pünktlich nach Sonnenuntergang, setzt sich unterhalb der South Congress Bridge ein gigantischer Schwarm von Fledermäusen in Bewegung. 1,5 Millionen Mexikanische Bulldoggfledermäuse, die wie auf Kommando in einem nicht enden wollenden schwarzen Band in die Ferne ziehen. Ein irres Schauspiel.

Zurück bleiben die Mexican Great-tailed Grackles, die mexikanischen Dohlengrackeln. Die bevölkern die Innenstadt, sehr zum Ärger von Hotel- und Restaurantbesitzern. Nicht nur, weil ihr Geschrei in den Häusergassen einen ohrenbetäubenden Lärm macht. Die Vogelbanden werden auch immer mehr zu einem Hygiene-Problem. Darum patroullieren in Austin neuerdings lebendige Vogelscheuchen durch die Straßen („Bird Service“), um den Quiscalus mexicanus aus der Stadt zu verjagen. Mit Mexikanern haben es die Amis ja grundsätzlich nicht so besonders.

 

Auge in Auge mit einer Legende

Zurück zur Konferenz. Mein persönlicher Höhepunkt dieser SXSW 2018: die Begegnung mit einer Legende. Nicht Schwarzenegger, nicht Spielberg, nicht Elon Musk. Für mich war das der Mann, dem ich zu verdanken habe, dass ich Journalist geworden bin: Dan Rather.

 

 

Wir schreiben das Jahr 1989. Ein 15jähriger deutscher Austausch-Schüler mit fragwürdiger Langhaar-Frisur (meine Jon-Bon-Jovi-Phase) sitzt in Cheyenne, Wyoming und verfolgt in den Abendnachrichten. Zuhause, in seiner Heimat, fällt die Mauer. CBS-Korrepondent Dan Rather lieh mir damals seine Augen und Ohren. Der Moment, an dem ich realisierte, das Leben kann dramatischer sein als Fiktion. Der Moment, an dem ich wusste, was ich später mal machen wollte.

Der gebürtige Texaner damals wie heute eine faszinierende Persönlichkeit. Was den TV-Anchor von vielen Kollegen unterscheidet: seine unfassbare Bescheidenheit. “I’ve always wanted to be a great reporter,” sagt er. “I have never achieved that, but it’s always been my polar star.” Nach seinem unrühmlichen Abgang bei CBS erlebt die TV-Legende mit 86 Jahren eine Art Comeback im Netz. Auf Facebook, wo Rather seit einigen Jahren regelmäßig Kommentare zum Weltgeschehen veröffentlicht, ist er ein Star (heute würde man sagen: Influencer). Er genießt seine Unabhängigkeit im Netz: „I answer to no one but myself.”

 


Conclusion

Für mich war diese SXSW eine Zeitreise in die Geschichte und zu mir selbst. Die Erkenntnis, dass die Digitalisierung eine großartige Sache ist, solange wir alle, Politik (Regulierung), Wirtschaft (Werte), Wissenschaft (Aufklärung) und Bürger (Zivilcourage) unsere eigene Verantwortung erkennen und wahrnehmen. Ein Begriff, der in diesem Zusammenhang immer wieder fiel und der vielleicht der Schlüssel zu allem sein könnte, lautet Empathie. Solltest Du, mein jüngeres Ich, da draußen in einem Parallel-Universum zufällig mein Blog lesen: Ich habe uns ein Autogramm von Dan Rather geholt – auf einem iPad (erkläre Dir später, was das ist).

…ach, und noch was: Bitte geh zum Frisör!

 

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