Talk Like An Egyptian

Kommunikationswege werden gekappt, Bankkonten gesperrt, eine Presse, die unverblümt zur Ermordung von Regierungs-Kritikern*aufruft. Nein, hier geht es schon lange nicht mehr um Ägypten oder Tunesien, auch nicht um irgendwelche durchgeknallten Diktatoren in Nordkorea oder China, sondern um die größte Revolution aller Zeiten: das weltweite Aufbegehren der Netzbürger.

* Die ursprüngliche Überschrift wurde nachträglich entschärft

Wer gedacht hat, das Internet sei nichts weiter als eine vorübergehende Modeerscheinung, der bekommt in diesen Tagen die gewaltige Macht zu spüren, die hinter dieser Technologie steckt: die Macht des Individuums. Das Internet verändert alles: die Wissenschaft, die Religion, das politische Leben. Wir mögen es vielleicht noch nicht in seiner ganzen Dimension begreifen; aber was wir in diesen Tagen erleben, ist eine der größten gesellschaftlichen Umwälzungen in der Geschichte der Neuzeit. Größer noch als der Amerikanische Unabhängigkeitskrieg, größer als die Französische Revolution.

Der Tag, als in Ägypten das Netz ausging

Jenseits von Afrika

„Ihre Stimme zählt“ heißt es bei uns vor den Wahlen so schön. Doch machen wir uns nichts vor: die tatsächliche Einflussnahme auf den politischen Entscheidungsprozess in Form eines Kreuzchens alle paar Jahre ist doch relativ dünn. So ging es letztes Jahr in Stuttgart um weit mehr als nur um einen Bahnhof. Es ging um das von der politischen Klasse so sträflichst unterschätzte Gefühl der braven Bürger, vor vollendete Tatsachen gestellt worden zu sein. Wie paralysiert wirkten die Verantwortlichen in Baden-Württemberg und in Berlin auf den Unmut, der sich im Netz und später dann auch auf der Straße formierte. In ihrer Not suchten sie nach Worten. Das Beste, was ihnen dazu einfiel, war der Begriff „Wutbürger“.

Krieg und Frieden

Ob Amerika, Afrika oder Europa, es herrscht Krieg auf der Welt, ein Informationskrieg zwischen Machthabern und dem Volk. Technologien wie das Internet verschieben die Kräfteverhältnisse zwischen Regierenden und Regierten. Die Bürger begehren auf, die Mächtigen antworten mit mehr Kontrolle. Das Misstrauen wächst auf beiden Seiten.

Die Anti-Terrorgesetze, die im Windschatten der Anschläge vom 11. September durch unsere Parlamente gejagt wurden, bedeuten den größten Einschnitt in unsere Bürgerrechte seit dem Nazi-Regime: Vorratsdatenspeicherung, Bundestrojaner, Wohnraumüberwachung, Handyortung, das systematische Fotografieren und Speichern von KFZ-Kennzeichen – das alles wurde und wird heute bereits praktiziert.

Was die Initiatoren gerne verschweigen: mit Terrorbekämpfung haben diese Maßnahmen in der Praxis so gut wie nichts zu tun. Ein Blick in die Statistiken des Bundesjustizministeriums belegt das sehr deutlich. Sogar die EU räumt ein: die Vorratsdatenspeicherung hat für den Kampf gegen den Terror kaum Bedeutung.

Zeit der Unschuld

Vertrauen ist gut, Kontrollen sind besser. Was auf der Strecke bleibt sind ausgerechnet jene Grundwerte, die es ursprünglich mal zu verteidigen galt: Versammlungsfreiheit, das Recht der freien Rede. Mit der Vorratsdatenspeicherung wurden demokratische Prinzipien wie die Unschuldsvermutung mit einem Handstreich umgedreht. Plötzlich waren wir allesamt potentielle Terroristen. Wer sich nichts zu Schulden kommen lässt, habe ja nichts zu befürchten, hieß es.

Ich bin kein Fan von Julian Assange oder von Geheimnisverrat an sich. Aber die Reaktion der Politiker auf Whistleblower-Plattformen wie WikiLeaks sollte uns nachdenklich machen. Es werden E-Mails und Twitterdaten von Sympathisanten durchleuchtet, das FBI durchsucht Wohnungen von Teenagern, da werden sogar Gesetze zur Abschaltung des Internets geschmiedet („Kill Switch„). Ich frage mich: Wozu eigentlich dieses Misstrauen, liebe Regierenden? Wer sich nichts zuschulden kommen lässt, hat doch nichts zu befürchten, oder?

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