Nach Mollath-Tweet: Besuch von der Polizei

Wenn Gustl Mollath heute vor den Bayerischen Landtag tritt, liegen die Nerven der Regierung offenbar blank. Einen Tag vor der Anhörung im Untersuchungsausschuss bekam die Ärztin Ursula Gresser unerwartet Besuch von der Polizei. Der Anlass: ein unliebsamer Tweet über Justizministerin Merk.

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Unbedeutend und doch unglaublich

Eine Lappalie, eigentlich zu unbedeutend, um darüber zu berichten und doch irgendwie unglaublich: Eine Medizin-Professorin aus Sauerlach, südlich von München, bekommt Besuch von zwei Polizeibeamten wegen eines Tweets, den sie verfasst hatte. Angeblich aus Sorge um Justizministerin Merk. Aber der Reihe nach.

polizeiwappenGestern, so um die Mittagszeit herum: Prof. Dr. med. Dr. med. habil. Ursula Gresser sitzt mit einem Arztkollegen aus Lübeck an ihrem Küchentisch, als sie durch das Fenster zwei fremde Männer bemerkt. Die Herren, Mitte 50, Typ Handelsvertreter, begutachten das Einfamilienhaus und ihr Grundstück. Es dauert nicht lange, dann klingeln sie. Ursula Gresser öffnet und ist verdutzt, als eine der beiden Gestalten ihren Polizeiausweis zückt.

Tweet des Anstoßes

„Was kann ich für Sie tun?“. Die Polizisten in Zivil stellen sich als Beamte der Polizeiinspektion Ottobrunn vor. Es ginge um die Veranstaltung von Frau Merk am Abend im Landgasthof Hofolding. Das Sicherheitspersonal der Justizministerin habe Bedenken in Bezug auf Frau Gresser angemeldet, wegen eines Tweets, den die 55jährige abgesetzt habe.

Der Tweet im Wortlaut:

„Wann Mollath freikommt? Diese Frage könnte man Frau Merk am Mo. 10.06.13 um 19 Uhr im Landgasthof Hofolding stellen.“

 

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(Tweet wg. Löschung rekonstruiert )

 

Denn sie wissen nicht was sie hier sollen

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Die Justizministerin

Was es gegen den Tweet einzuwenden gebe, möchte die Professorin wissen. Handelt es sich etwa nicht um eine öffentliche Veranstaltung? Doch, räumen die Beamten ein. Ursula Gresser erklärt später, sie habe das Gefühl gehabt, die beiden Beamten wüssten selbst nicht so genau, was sie hier eigentlich sollten.

Das Gespräch endet damit, dass Frau Gresser den Beamten anbietet, den Tweet zu löschen, wenn das helfen würde. Die beiden Männer ziehen ab und Ursula Gresser löscht den Tweet.

Bestätigung der Polizei

Anruf beim Polizeipräsidium Ottobrunn. Der stellvertretende Dienststellenleiter bestätigt den Hausbesuch, will im gleichen Atemzug von mir wissen, wie ich von der Sache erfahren habe: „Und die [gemeint ist Frau Gresser] hat sich gleich an Sie gewandt?“.

Was folgt, ist ein zähes Ringen um weitere Auskünfte. Auch der Pressesprecher des Polizeipräsidiums München, bei dem ich schließlich lande, gibt sich verschlossen – aus Datenschutzgründen, wie er betont.

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Das Opfer

Wir spielen das bei Journalisten so beliebte Ja/Nein-Frage-Antwort-Spiel:

Gutjahr: „Anlass des Besuches war also eine Nachricht aus dem Internet?“

Sprecher: „Ja.“

Gutjahr: „Ging es um einen Tweet?“

Sprecher: „Helfen Sie mir, was das ist…“

Gutjahr: „Ging es um eine Kurznachricht auf Twitter?“

Sprecher: „Ja, richtig, diesen Fachausdruck kannte ich jetzt nicht.“

Gutjahr: „Ging es ausschließlich um diesen Tweet oder liegt gegen die Dame sonst noch etwas vor?“

Sprecher: „Nein, es ging nur um diese Geschichte.“

Die potentielle Störerin

Die Geschichte, so wie sie von Frau Gresser geschildert wurde, stimmt also? Ich komme ins Grübeln. Wenige Minuten später rufe ich den Polizeisprecher ein zweites Mal an, nur um ganz sicher zu gehen, dass sich der Einsatz tatsächlich auf diesen Tweet bezog. Der Sprecher druckst herum, gibt an, so etwas sei sonst nicht die Regel. In diesem Fall habe man es wohl für notwendig erachtet, der Dame einen Besuch abzustatten – Zitat – „um mögliche Störungen abzuwenden“.

Doch wer hat nun die Order für diesen Hausbesuch gegeben? Keiner der Beamten, mit denen ich gesprochen habe, machte mir den Eindruck, als wüssten sie auch nur im entferntesten, wie man Twitter überhaupt buchstabiert.

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Die Bedrohung

Ursula Gresser ist seit 1992 Mitglied der CSU sowie aktives Mitglied in der Frauenunion. Als Sachverständige schreibt sie medizinische Gutachten u.a. für das Amts- und Landgericht München. Bei Twitter ist sie seit 3 Jahren angemeldet. Aktiv twittert sie aber erst seit der Berichterstattung über Gustl Mollath.

Der Fall Mollath kam Gresser von Anfang an suspekt vor. Alles, was sie im Internet über das Verhalten Mollaths gelesen habe, hält sie für an den Haaren herbeigezogen. „Wenn man diese Kriterien auf andere Menschen anwenden sollte“, sagt sie, „dann müsste man halb Sauerlach abholen“. Und die Rolle der CSU? „Gerechtigkeit ist keine Frage einer Partei“.

Bedrohung abgewendet

Justizministerin Merk konnte übrigens gestern noch ihren Vortrag im Landgasthof Hofolding abhalten – ohne Zwischenfälle oder unliebsamen Gäste. Das Thema ihres Vortrages übrigens lautete: „Facebook & Co. – sicher surfen in sozialen Netzwerken, mit Staatsministerin Dr. Beate Merk“

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Update 20:30 Uhr: Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat am Nachmittag folgende Presseerklärung in dieser Angelegenheit veröffentlicht, in welcher man jedweden Zusammenhang mit „Mollath“ abstreitet:

„Die Meldung trifft nicht zu. In Wahrheit verhielt es sich so, dass am 23. Mai 2013 im Justizministerium ein besorgtes Schreiben eines Anwalts einging, dass es möglicherweise zu Störungen bei einer Veranstaltung mit Frau Staatsministerin Dr. Merk kommen könne. Dieses Schreiben wurde vom Justizministerium dem Begleitschutz von Frau Staatsministerin übergeben, um darauf vorbereitet zu sein. Der Fall Mollath hat weder in dem Schreiben noch in der Veranstaltung eine Rolle gespielt. Ob und ggf. wie die Polizei im Vorfeld der Veranstaltung präventivpolizeilich tätig geworden ist, entzieht sich der Kenntnis des Staatsministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz.“

(Quelle: Justizministerium Bayern)

Update, 12. Juni, 15 Uhr: Telefonat mit dem Leiter der Pressestelle Polizeipräsidium München. Die Polizei distanziert sich inzwischen von ihrer Aussage vom Montag, wonach sich der Polizeieinsatz auf einen Tweet von Frau Gresser bezog. Anlass des Anrufes soll jetzt das Schreiben eines Anwaltes vom 23. Mai gewesen sein (s. Nachtrag Pressemeldung Polizei München). Kurz darauf ein Anruf des Sprechers des Justizministeriums. Man versichert, man habe den Personenschutz der Ministerin allein aufgrund des „besorgten Schreibens“ informiert. Der Besuch bei Frau Gresser sei eine freie Entscheidung der Polizei gewesen und nicht auf Wunsch des Justizministeriums erfolgt. Meiner Bitte, das besagte Schreiben, auf das sich sowohl Polizeipräsidium als auch Justizministerium berufen, in anonymisierter Form vorzulegen, möchte man nicht nachkommen. Der Grund: Datenschutz.

Ich bleibe bei der von mir oben geschilderten Darstellung. Von einem „besorgten Schreiben“ eines Anwaltes war seitens der Polizei bis zum Zeitpunkt meiner Veröffentlichung nie die Rede. Andere Gründe als den besagten Tweet (Vorgeschichte, Vorstrafen o.ä.) schloss der Polizeisprecher mir gegenüber noch am Montag auf mehrfache Nachfrage explizit aus. RG

 

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