Holger Stark: „Der NSA Komplex“

Sucht man hierzulande einen Geheimdienst-Experten, kommt man an Holger Stark nicht vorbei. Zusammen mit Marcel Rosenbach hat der Leiter des SPIEGEL-Büros in Washington DC ein Buch geschrieben, das diese Woche in den Handel kommt. Ein Gespräch mit Holger Stark über die NSA, das Silicon Valley und das Weiße Haus.

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Seit 13 Jahren schreibt Holger Stark für den SPIEGEL. Zuletzt leitete er das Deutschland-Ressort im Berliner Büro des Nachrichtenmagazins. Das Buch Staatsfeind WikiLeaks (Afiliate Link), das er zusammen mit Marcel Rosenbach geschrieben hat, war ein Bestseller. Diesen Montag ist ihr neues Buch über Edward Snowden und die NSA erschienen.

 

G! blog: Das letzte Mal, als wir uns miteinander hier in diesem Blog unterhalten haben, da ging es um Julian Assange und WikiLeaks. Hättest du dir damals vorstellen können, dass es noch jemals irgendetwas Größeres geben könnte?  

Holger Stark: Wir haben zumindest intern im Spiegel mal gesagt, das ist wahrscheinlich die größte, journalistische Geschichte unseres Lebens, die wir damals mit den WikiLeaks-Kabeln und Bradley Manning gemacht haben. Dass es dann relativ schnell danach eine Affäre geben würde, die das Ganze noch toppen würde, sowohl von der Dimension des Materials als auch von der Geheimhaltungsstufe – diese NSA-Sachen sind ja fast alle top secret eingestuft – hat mich zumindest überrascht. Im Nachhinein muss ich sagen, ist es aber so ungewöhnlich wiederum auch nicht, weil natürlich diese Sachen indirekt auch zusammenhängen. (…)

Bradley Manning hat Leuten wie Edward Snowden den Weg bereitet

Ich glaube, dass Bradley Manning schon derjenige gewesen ist, der Leute wie Edward Snowden den Weg bereitet hat. Dass da so eine jüngere Generation herangewachsen ist von Leuten, die im Internet richtig sozialisiert sind und für die das Netz (…) ein Teil es politischen und gesellschaftlichen Lebensraums ist und damit auch nicht wegzudenken. (…) Und die fremdeln, wenn sie sich angucken, was ihre Regierung für eine Art von Politik betreiben, und den Akt, den Bradley Manning damals vollzogen hat, 2010, als er die Geheimdepeschen an WikiLeaks übergeben hat, das ist einer gewesen, den sich Edward Snowden sehr genau angeguckt hat und der für ihn gewissermaßen so eine Art Role Model war. Nicht in dem Maße, das dann an WikiLeaks zu geben, aber schon in dem Maße zu sagen, da sind Dinge, die passieren in meiner eigenen Regierung, mit denen bin ich ganz und gar nicht einverstanden, und da denke ich, die Sachen müssen an die Öffentlichkeit kommen.

 

 

Du meinst, auf die Verfehlungen des Staates hin haben sich überhaupt erst die Verfehlungen dieser Whistleblower hin ergeben, und das schaukelt sich jetzt gegenseitig immer weiter hoch? Demnach müsste ja bald der nächste Snowden in der Tür stehen?

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir weitere Leute sehen werden. Vielleicht nicht im klassischen Geheimdienstbereich, aber dass diese Art von Leaks, von Enthüllungen staatlichen Handelns, mit dem einzelne Bürger nicht einverstanden sind, letztlich und die sagen, das muss an die Öffentlichkeit kommen, dass wir davon noch mehr sehen werden. Da gibt es ja auch noch andere Beispiele. Es gibt noch Leute wie Aaron Swartz beispielsweise, den Mitbegründer von Reddit, der eine ganze Reihe von Sachen an die Öffentlichkeit gebracht hat, Jeremy Hammond, der ein klassischer Netzaktivist war und der die Stratfor-Sachen geklaut hat und an WikiLeaks übergeben hat.

Eine ganze Generation fremdelt damit, wie Politik hinter den Kulissen betrieben wird

Ich glaube, dass diese Generation, die so in den 80er-Jahren geboren ist und jetzt so Anfang dreißig, Ende zwanzig ist, dass die extrem damit fremdelt, wie Politik hinter den Kulissen betrieben wird, und was für ein Politikverständnis und auch was für ein Geheimhaltungsverständnis beispielsweise die amerikanische Regierung noch hat. Und die richtig interessante Frage wird natürlich sein, sehen wir das dann auch mal in Russland, und sehen wir das dann auch mal in China, wo natürlich der Vorhang noch viel eiserner und viel bleierner runtergelassen worden ist.

Du und Marcel Ihr habt euch wieder zusammengetan und  habt ein Buch über den NSA-Komplex geschrieben. Worum geht es in dem Buch, und wie unterscheidet sich das von diesen laufenden Geschichten, die wir Woche für Woche im Guardian oder aktuell auch wieder im Spiegel lesen? 

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Das Buch entstand eigentlich aus dem Impuls, dass wir den Eindruck hatten, selbst in einer langen Spiegel-Titelgeschichte, die über zehn Seiten geht, können wir nicht die ganze Dimension dessen erfassen, was wir hier gerade sehen, und was vor sich geht. Es dauert auch eine ganze Zeit, bis man die Materialien verstanden hat, bis man durch die Details gegangen ist, die ganzen Akronyme der NSA verstanden hat, und unser Impuls war, zu sagen, das würden wir gerne noch mal etwas systematischer erfassen, etwas gründlicher aufarbeiten, zumal dieses Material so wahnsinnig reichhaltig ist, dass es ganz viele kleinere Geschichten links und rechts entlang der Wegstrecke gibt, die in klassische Berichterstattung so gar nicht einfließen können. Und dann haben wir im Herbst begonnen, das Ganze zu systematisieren.

Ich bin einmal nach Fort Meade zu NSA-Zentrale rausgefahren, habe mich dort auch mit den NSA-Leuten ausführlich und länger unterhalten. Wir haben einmal versucht zu verstehen, wie die gesamte Zugriffsstruktur der NSA auf Informationen ist. Das Netz, das Internet ist ja durchzogen von großen Backbones, also wenn man so will, Lebensadern, glasfaserverkabelt, wo ein Großteil der Informationen transportiert wird. Und beispielsweise die Systematik, mit der die NSA diese Backbones anzapft, diese Lebensadern, und versucht, da maximal viel an Informationen abzusaugen über Orte wie Cornwall, wo die deutschen Kabel oder die KabelDeutschland versorgen, auch durchlaufen, wo dann für drei Tage lang komplett und jede E-Mail, jeder Videofilm, jede Skype-Unterhaltung und nach Stichworten durchsucht wird. Diese Systematik und dieser allumfassende Ansatz, den Keith Alexander, der NSA-Chef einmal damit beschrieben hat, wir wollen den ganzen Heuhaufen haben. Also praktisch jede Art von Informationen, um danach dann retrograd rausfinden zu können, welche Details davon für die NSA wohl relevant sind. Dieses einmal zu erfassen und zu beschreiben, das war das eine. Das andere war, dass wir so konstant und lange jetzt auch mit dem Material gearbeitet haben und indirekt auch mit Snowden, dass die auch Lust gehabt haben, die politische Dimension dieser Geschichte noch mal zu erfassen.

Was ist das für ein Laden, um jetzt mal bei der NSA zu bleiben? Gibt es da auch unterschiedliche Fraktionen, etwa Liberale, Realos und Hardliner? 

Ich habe Zweifel, ob es wirklich so viele Fraktionen innerhalb der NSA gibt, weil der Laden am Ende doch ein extrem militärisch geprägter ist. Er wird geführt von einem General, die Hälfte der 40.000 Mitarbeiter oder mehr als die Hälfte kommen aus dem Militär, und man merkt es schon, wenn man auf diesen Compound in Fort Meade – ungefähr eine Autostunde von Washington entfernt im Norden – kommt, selbst die Parkplätze sind streng hierarchisch. Und auch, welche Autokategorien wo parken. Also die großen, dicken Mercedes- und Daimler-, BMW-, Lexus-Limousinen und so, das ist erkennbar sozusagen dann, die Führungsschicht. Und dementsprechend ist es auch innen drin.

Kritik innerhalb der NSA ist nicht erwünscht

Es gibt, ich glaube, acht Aufzüge. Einer ist davon nur dem Führungspersonal und dem Direktor selber vorbehalten. Also der Laden ist sehr hierarchisch geführt, und deswegen bin ich nicht sicher, wie vital die Diskussionskultur innerhalb der NSA ist, um es mal so rum zu sagen. Jedenfalls haben die Leute, die mit dem Kurs lange Zeit nicht einverstanden waren, wie Will Binney, wie Tom Drake, wie Kirk Wiebe und andere,  am Ende des Tages dann nur die Chance gehabt, die NSA zu verlassen und als Whisteblower gewissermaßen und als Opposition von außen zu agieren. Kritik, so habe ich es jedenfalls von Tom Drake und Will Binney gehört, mit denen ich mich oft hier getroffen habe, Kritik innerhalb der NSA ist nicht sehr erwünscht. 

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William Binney hat ja kürzlich in meinem Blog erzählt, dass er Journalisten als Primary Target der NSA ausmacht. Wie kannst du überhaupt noch arbeiten, wenn du weißt – zum Beispiel bei eurem Spiegelbüro in Berlin, schräg gegenüber am Brandenburger Tor, da ist der Horchposten der Amerikaner – können wir da die Pressefreiheit nicht von vornherein knicken? 

Die Ironie ist, ich sitze ja im Moment im Büro in Washington des Spiegels. Die Ironie ist, dass das Fourth Amendment Korrespondenten wie uns, die dauerhaft auf amerikanischem Boden arbeiten, eigentlich schützt. In dem Moment, wo ich aber die Vereinigten Staaten von Amerika verlasse, also beispielsweise nach Kanada, nach Mexiko oder nach Deutschland fliege, bin ich ein ganz legales und offizielles Ziel der Amerikaner, die sich im Übrigen – die NSA ja auch – eine Ermächtigung von diesem FISA-Gericht, diesem Sondergericht geholt hat, deutsche Staatsbürger zu überwachen. Das heißt also, in dem Moment, wo Deutsche sich dauerhaft in Amerika aufhalten, sind sie eigentlich geschützt, und in dem Moment, wo sie dann das Land verlassen, sind sie gewissermaßen vogelfrei. Insofern habe ich eigentlich in Amerika, zumindest legal betrachtet, bessere Arbeitsbedingungen als die Spiegel-Kollegen am Pariser Platz in Berlin oder auch in Hamburg.

Du schränkst selbst ein durch das Wort „eigentlich“ – Wir wissen ja auch „eigentlich“, dass selbst die amerikanischen Journalisten überwacht werden, siehe AP zum Beispiel.

Ja. Haarsträubende Fälle. Selbst konservative Journalisten wie J. Rosen von Fox News, der hart hier ins Visier geraten ist, weil dann natürlich irgendwann einfach strafrechtliche Ermächtigungen eingeholt werden, die dann wiederum fast alles erlauben. Insofern ist es sehr dünnes Eis, da hast du schon recht. Ich glaube, für Journalisten generell gelten zwei Dinge: Erstens ein gewisses Grundmaß an nicht nur Selbstschutz sondern auch an Informantenschutz, indem man beispielsweise verschlüsselte E-Mail anbiete, wenn sich jemand an dich wenden möchte, dass man mit PGP E-Mails standardisiert verschlüsselt, zweitens verschlüsselte Chat-Kommunikation gibt es eine Reihe von Protokollen, die es ermöglichen, direkte End-zu-End-Verschlüsselung zu nutzen.

Und das Ganze bietet dir aber natürlich unterm Strich trotz allem keine hundertprozentige Sicherheit. Das heißt also, bei bestimmten Punkten müssen Journalisten sich, glaube ich, einfach sicher sein und müssen von vornherein davon ausgehen, dass Daten unsicher sind. Das ist die Erfahrung, die die NSA ja selber auch macht. Das heißt, bestimmte Dinge dürfen am Ende einfach nicht offen per E-Mail, auch nicht am Telefon besprochen werden, sondern müssen auf die gute, alte Face-to-Face-Variante bei einem Kaffee geklärt werden.

Wie sauer sind denn die NSA-Leute, wenn jetzt so jemand wie du, ausgerechnet noch aus Deutschland, daherkommst und anfängst, der NSA hinterherzuschnüffeln?

Es gibt bemerkenswerte Unterschiede zwischen der Berichterstattung der amerikanischen Kollegen und unserer. Jedenfalls in der Art und Weise, wie das Weiße Haus und wie die NSA sie entgegennehmen oder aufnehmen. Wenn die New York Times in Fort Meade bei der NSA-Zentrale anruft, dann gibt es schnell einen Termin, es gibt manchmal Gespräche direkt mit Keith Alexander oder mit dem Chefjuristen und eine, ich würde fast sagen zuvorkommende Behandlung, auch wenn die NSA natürlich die Art und Weise, wie die Washington Post oder die New York Times berichtet, nicht mag.

Man kann auch sagen es ist ein Prädikat, keine Antwort vom Weißen Haus zu erhalten

Wenn der Spiegel anruft, wird der ernst genommen, aber auf Abstand gehalten. Ich glaube, aus einem ganz schlichten Grund: weil wir ein ausländisches Medium sind. Andere Medien kriegen teilweise gar keine Antwort, wenn sie ausländische Journalisten sind, aber die Sorge oder die Angst oder das Gefühl, wenn da ein ausländischer Journalist daherkommt, dass der dann von außen die Sicherheit der Vereinigten Staaten von Amerika möglicherweise attackiert, oder dass der nicht vertrauenswürdig ist, die ist extrem groß und deutlich zu spüren. Das haben wir an verschiedenen Recherchen gemerkt, die wir zusammen mit der New York Times gemacht haben, wo die New York Times extrem viel besser behandelt worden ist und extrem viel intensiver behandelt worden ist, als es der Spiegel wurde. Man kann auch sagen möglicherweise, dass das ein Prädikat ist, so eine Vorzugsbehandlung nicht zu bekommen, dass eine bestimmte Form von Kungelei möglicherweise hinter den Kulissen da auch nicht stattfindet. Jedenfalls ist es extrem schwer. Das Weiße Haus verweigert uns seit zehn Monaten ein persönliches Gespräch zu dem gesamten Thema. Die haben einfach kein Interesse, mit uns zu reden.

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Keith Alexander hast du schon erwähnt, den NSA-Chef. Was ist mit Geheimdienstkoordinator Clapper? Der setzt sich also in den Ausschuss vom Kongress, lügt knallhart und unmissverständlich und wird dabei erwischt. Wie kann das sein, dass so einer nicht schon lange im Knast sitzt? 

Die Erklärung ist, glaube ich, relativ einfach. Es hat über viele Jahre ein Schweigekartell, könnte man fast sagen, gegeben zwischen denen, die die Geheimdienste beaufsichtigen sollen und denen, die beaufsichtigt wurden, also zwischen den beiden Komitees im Kongress, einmal im Repräsentatenhaus und einmal im Senat. Die, die die Geheimoperationen der NSA, der CIA, der DIA und anderen Geheimdiensten beaufsichtigen sollen, und die gewissermaßen in einem demokratischen System von Checks and Balances, die die Kontrollinstanz sein sollten, also die schauen sollten, wo es Verfehlungen gibt, und dann den Diensten selber und dem Weißen Haus.

Und Clapper als Geheimdienstkoordinator ist ja beim Weißen Haus angesiedelt. Da ist aber eher so eine Kungelrunde draus entstanden. Also so ein Gefühl, eigentlich in Wahrheit auf der gleichen Seite zu stehen und an einem Strang zu ziehen, was demokratisch betrachtet nicht die Idee der Veranstaltung ist, sondern die Idee ist, dass unabhängige Instanzen sich gegenseitig überprüfen und damit schon in einem frühen Stadium rausfinden, wenn es Verfehlungen gibt. Dass das Weiße Haus als Regierung bestimmte Kurskorrekturen nicht vornimmt, das ist klar. Das müsste dann aber wiederum der Kongress tun. Und die Aufseher im Kongress, die sich in diesem Fall von Clapper haben anlügen lassen, die sind ganz lange extrem devot und extrem handzahm gewesen und sind dem nicht hinterhergegangen. Und ich glaube, das ist der Grund, weswegen wie Clapper meint, er kann dann auch Feinstein und andere einfach knallhart anlügen.

(Fortsetzung auf der nächsten Seite) (mehr …)