Tue Gutes und twitter drüber!

Was bringen Journalisten-Rankings? Wie wichtig sind Personenmarken? Immer wieder maulen Kritiker über Personenkult und Selbstvermarktung. Dabei denke ich offenbart manch moralinsaure Polemik mehr über die Kritiker, als über die Kritisierten. Ein Plädoyer für mehr Personenmarken und Selbstdarsteller(innen!).

 

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Die Kress-Umfrage provozierte unter Kollegen viel Häme, Neid und Missgunst

 

 

Der Journalismus im freien Fall

In einer Zeit, in der das Berufsfeld Journalismus durch die Explosion von Angeboten vor einer noch nie dagewesenen Marktbereinigung steht, gewinnen Maßnahmen wie Marken- und Profilbildung extrem an Bedeutung. Das gilt für Sender und Verlage, wie auch für jeden einzelnen Journalisten.

Wenn Zeitungen vor massiven Stellenstreichungen stehen, die beste Journalistenkaderschmiede der Welt ihre Klassen verkleinert, weil es nicht mehr genug Nachfrage nach den Absolventen gibt, wenn immer mehr Journalisten den renommiertesten Medienhäusern der Welt den Rücken kehren, um ins Silicon Valley zu wechseln, müssen wir anerkennen, dass sich die Welt geändert hat, dass wir uns neue Strategien ausdenken müssen, um mit unseren Geschichten morgen noch gefunden zu werden.

 

Da könnte ja jeder kommen!

Wann immer in der Medienszene über mich gesprochen wird, fällt schnell der Begriff „Selbstdarsteller“. Zu Recht. Ich besaß einen Selfie-Stick lange bevor es überhaupt einen Namen dafür gab. Ich habe mein Blog von Beginn an nach mir benannt, Segen und Fluch, je nachdem. Ich kenne die Verkaufstricks unserer Branche und lasse auch regelmäßig professionelle Fotos von mir machen, schon allein deshalb, weil ich mir der Macht von Bildern bewusst bin.

 

Richard_Gutjahr

 

Natürlich ist mir klar, dass mich manche Kollegen mit der Bezeichnung „Selbstdarsteller“ in erster Linie attackieren wollen. Anders als in den USA zieht man hierzulande bereits Missgunst an, allein wenn man es wagt, auf sich und seine Arbeit aufmerksam zu machen (Okay, vielleicht hätten die Briefmarken mit meinem Twitter-Konterfei nicht sein müssen – eine ironisch-gemeinte Reaktion auf die wie ich finde überhitzte Diskussion um den „Journalist als Marke“. Ein Gag, der nach hinten losging.).

Dabei habe ich mit der Bezeichnung „Selbstdarsteller“ keinerlei Probleme. Im Gegenteil. Ich empfinde das sogar als Auszeichnung. Und ich will Euch auch verraten warum.

 

Es ist leicht, freiberufliche Personenmarken als Narzissten, selbstverliebte Egomanen abzustempeln.

Von Narzissten und Egomanen

Es ist leicht, freiberufliche Personenmarken als Narzissten, selbstverliebte Egomanen abzustempeln. Oft geschieht das aus dem kuscheligen Redaktionsumfeld eines öffentlich-rechtlichen Senders heraus oder eines Verlagshauses, wo sich ein Autor selbst mit so lästigen Dingen wie Reichweite, Geldbeschaffung und Marketing nicht die Hände schmutzig machen muss.

Nicht so leicht ist es, die persönliche Leistung mancher Personenmarken einfach mal anzuerkennen und in Relation zu setzen, mit der Zeit, die diese Leute in ihre eigene Markenbildung investieren, sowie der Blick auf die Mittel, die ihnen dafür zur Verfügung stehen.

Würde man die Reichweite mancher Selbstdarsteller an Ressourcen wie z.B. Manpower, technischer Infrastruktur sowie den Wettbewerbsvorteil tradierter Medienmarken messen, wären One-Man-Unternehmen wie Sascha Lobo, Stefan Niggemeier oder Florian Mundt (LeFloid) vermutlich höher zu bewerten als Spiegel, Springer sowie sämtliche öffentlich-rechtlichen Sender zusammen.

Und ja, wenn ich mir so manche Kritiker und deren eigene Bilanzen so ansehe, werde ich den Verdacht nicht los, steckt hinter so manchem hämischen Seitenhieb und vermeintlich aufklärerischen Blogpost vor allem eines: Kleingeistigkeit, Neid und Missgunst.

 

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Montage / Quelle: Christian Jakubetz – blog-cj.de

 

Die Stärke der menschlichen Schwächen 

Es gibt gute Gründe, Personenkult zu kritisieren. Wenn der Name die journalistischen Inhalte überstrahlt, ist das sicherlich nicht zweckdienlich. Andererseits sind Menschen nun mal die besten Vehikel, um Geschichten zu erzählen oder auf manche Themen überhaupt erst aufmerksam zu machen.

Von den Zwölf Aposteln über die Gebrüder Grimm bis Axel Cäsar Springer – Namen zählen und werden in Zukunft sogar noch mehr Gewicht bekommen. Meine These: In einer Welt des digitalen Informations-Overkills, in einer Medienrealität geprägt von Big Data und künstlichen Algorithmen, sind unsere menschlichen Schwächen vielleicht sogar unsere größte Stärke.

 

Eier. Wir brauchen Eier!Tilo

Tilo Jung mag nicht jedermanns Typ sein. Doch selbst der härteste Kritiker kann nicht abstreiten: er ist ein Typ. Und er hat Eier. Mögen diese Eier Tilo manchmal auch aus der Kurve tragen, so muss man doch anerkennen: wenigstens hat er welche!

Sascha Pallenberg. Oh. Mein. Gott. Sascha Pallenberg! Der Mann verdient mit seiner Personenmarke nicht nur Respekt, sondern auch richtig Asche: Bis zu einer halben Million US-Dollar Umsatz pro Jahr, wie er letztes Jahr auf der re:publica verriet.

Sascha PallenbergIn der Zukunft, wenn unser Bewusstsein als Software auf irgendwelchen Cloud-Servern abgelegt ist, werden wir uns an digitale Pioniere wie Palle zurückerinnern und sagen: Er war einer der Ersten! Er hat’s geblickt und er hatte den Mut, seinen Worten Taten folgen zu lassen und neue Wege zu gehen. Wege, die ihn mehrfach um die Welt bis nach Taiwan führten.

Holger Schmidt, Karsten Lohmeyer, Lisa Altmeier und Steffi Fetz – um nur einige zu nennen. Womit wir bei einem anderen Aspekt wären, der in diesem Zusammenhang finde ich viel dringender diskutiert werden müsste: Journalistinnen.

 

 

Prahlen ist männlich

So bunt und extravagant die jüngste kress-Liste auch ist, so dramatisch führt sie ein viel größeres Problem vor Augen: Wie verschwindend gering der Anteil an Frauen ist, die dort, wenn überhaupt, am unteren Ende des Rankings auftauchen.

Das krasse Ungleichgewicht der Kress-Befragung lässt wenig Interpretationsspielraum und kann nicht allein durch fehlende Repräsentativität einer inzenstösen Branchen-Blasen-Befragung erklärt werden. Viel mehr fürchte ich, haben wir es hier mit einem grundsätzlichen Phänomen zu tun, dem wir auch in der analogen Welt immer wieder begegnen:

Frauen, die ihr Talent und ihr Können unter den Scheffel stellen, weil sie meinen, sich allein durch ihre Arbeit behaupten zu können.

 

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Fatale Bescheidenheit

So sehr ich diese (mir selbst fremde) Bescheidenheit bewundere, ich fürchte, die Rechnung wird nicht aufgehen. Schon gar nicht in einer Medienwelt, in der man gegen jeden Teenager mit Smartphone, gegen Katzen-Content, Whatsapp-Messages, Candy Crush, vor allem aber eben mit Männern um Aufmerksamkeit buhlt, die für ihre angeborene Neigung zum permanenten Schwanzvergleich bekannt sind.

Frauen, legt Eure Scheu ab und überdenkt Eure Strategie!

Mein Appell, den ich auch immer wieder gerade an die weiblichen Teilnehmer meiner Vorlesungen oder Workshops richte: Frauen, legt Eure Scheu ab und überdenkt Eure Strategie! Gut zu sein reicht nicht (Am Rande: ständig nur über seine eigenen Heldentaten zu reden zum Glück auch nicht!).

Stattdessen empfehle ich, es lieber mit Erich Kästner zu halten: Tut Gutes und twittert darüber! Das setzt voraus, dass Ihr erst etwas Gutes tut, und dann darüber redet. Niemals umgekehrt.

 

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Zwei Wege zur Kanzlerin

Es gibt genau zwei Möglichkeiten, ein Exklusiv-Interview mit der Bundeskanzlerin zu bekommen: Den langen Marsch durch die Institutionen der Sender und Verlage. Oder, indem man die Möglichkeiten des Netzes erkennt und für sich und seine Geschichten nutzt. Egal, für was Ihr Euch entscheidet, beide Wege sind langwierig, mühevoll, provozieren Kritik, Neid und bringen oft auch einige Rückschläge mit sich.

Viele Journalisten sind sich zu schade, eine neue Welt kennenzulernen.

Viele Journalisten sind sich zu schade für den letzteren Weg. Sind sich zu schade, eine Welt kennenzulernen, die ihnen fremd ist. Das erste Jahr quasi unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu bloggen, bis die ersten Leser überhaupt Notiz von einem nehmen. Sie sind sich zu schade, auf Kritik zu reagieren und auf ihr Publikum einzugehen.

Das ist der Unterschied, weshalb manche Menschen im Netz mehr wahrgenommen werden als andere. Warum ein YouTuber mit Angela Merkel plaudern darf und nicht der langweilige Hauptstadt-Korrespondent: Mut. Ausdauer. Harte Arbeit. Ja, und oben drauf auch gerne eine Portion Eitelkeit. Und warum denn nicht! Als ob Eitelkeiten der Medienbranche so fremd wären.

 

No Shortcuts!

Es gibt keine Abkürzungen im Leben, schon gar nicht im Internet. Wir alle, die wir es auf irgendeine Weise geschafft haben, uns im Netz einen Namen zu machen, haben hart dafür gearbeitet, oft über Jahre hinweg.

Wir sind clever genug zu begreifen, dass Bekanntheit kommt und genau so schnell wieder geht. Wir ruhen uns nicht auf alten Erfolgen aus, stehen jeden Morgen auf mit neuen Ideen, beseelt von der Mission, uns kontinuierlich neue Fähigkeiten anzueignen, aus Fehlern zu lernen, es beim nächsten Projekt besser zu machen.

Mögen Trolle und H8terz noch so sehr die Nase rümpfen: Wenn ich durch die jüngste kress-Umfrage scrolle, bin ich stolz, neben so vielen tollen Menschen, Kolleginnen und Kollegen auf dieser Liste zu stehen!

 

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Quelle: werben & verkaufen – wuv.de

 

Jeder Einzelne macht den Unterschied

So wilkürlich und unvollständig die Aufzählung auch immer sein mag – in einem Vollkasko-Land, in dem wir uns nicht trauen, über den medialen Tellerrand zu schauen, in dem alles, was jenseits der Norm ist, als verdächtig gilt, sind es genau diese EinzelkämpferInnen, die den Unterschied machen.

Wenn ich nicht ich wäre, vermutlich wäre ich mir selbst höchst suspekt.

Ich bin weiß Gott kein Fan von jedem Namen auf dieser Liste. Und wenn ich nicht ich wäre, vermutlich wäre ich mir selbst höchst suspekt. Aber wer dazu in der Lage ist, persönliche Abneigungen von professionellen Kriterien zu trennen, muss zugeben:

Es gibt Menschen, die den Mut haben, ein Risiko einzugehen (und manchmal dabei übers Ziel hinausschießen). Damit leisten sie weitaus mehr, als jene Kritiker, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die Initiativen Anderer kleinzureden. Menschen, die sich nicht an ihren Kollegen abarbeiten, um sich dadurch zu erhöhen. Menschen, die nicht versuchen, durch wohlkalkulierte Kritik an Web-Persönlichkeiten, selbst ein paar Lichtstrahlen des Ruhms abzubekommen, um dadurch Leser auf ihre eigenen Seiten zu locken.

 

Kein Platz für alle?

Natürlich ist mir klar, dass an der Spitze nie genug Platz ist für alle. Aber genau das ist das Schöne am Internet – der Platz und die Fülle an Themen ist schier unendlich. Meine Philosophie: Jeder sollte zumindest versuchen, in seiner Nische einen Spitzenplatz zu erklimmen!

Wer sich als Person sichtbar macht und es unter die Top-3-Experten für sein Thema schafft, der wird damit Geld verdienen und vielleicht eines Tages wie Sascha Pallenberg sogar ein Dutzend Leute beschäftigen können.

Wenn es etwas gibt, was uns von Algorithmen, Aggregatoren und beliebig austauschbaren Nachrichten-Tickern unterscheidet, dann ist es unsere Persönlichkeit.

Man muss uns nicht folgen. Man muss uns nicht mögen. Aber eines kann man nicht: uns ignorieren.