Sulzberger: Stop the press!

Die Zeitung ist tot. Lang lebe der Journalismus. Arthur Sulzberger Jr, Chairman und Herausgeber der New York Times hat jetzt auf einer Konferenz in London eine bemerkenswerte Ankündigung gemacht: Man werde aufhören, die New York Times zu drucken. Das genaue Datum stünde aber noch nicht fest.

Ich will ganz ehrlich zu Euch sein: Ich bin gar nicht so ein Early Adopter wie Ihr alle denkt. In Wahrheit bin ich ein Gewohnheitstier. Ich liebe meine täglichen Rituale. Dazu gehörte auch lange Zeit das Rascheln einer Morgenzeitung. In der immer gleichen Abfolge wanderten Sportteil, Anzeigenmarkt und Werbeprospekte, noch bevor ich den Küchentisch erreichte, auf den Altpapier-Stapel. Dann ging es vom Aufmacher, den Kommentaren, über die Medienseite quer durch den Blätterwald bis zur Wirtschaft. Kultur und Seite 3 wurden stets überflogen. Wenn mich dort etwas interessierte, legte ich es zur Seite, damit ich es später in Ruhe lesen konnte. Natürlich habe ich das nie getan. Es war aber beruhigend zu wissen, dass ich es hätte tun können.

Das Abo gekündigt – viel zu spät!

Das war im letzten Jahrtausend. Mein Abo der Süddeutschen Zeitung habe ich vor 5 Jahren gekündigt. Viel zu spät eigentlich. Denn gelesen habe ich die Zeitung schon über Jahre hinweg nicht mehr. Wanderten früher nur einzelne Teile der Zeitung ungelesen ins Altpapier, musste ich bald feststellen: das komplette Druckwerk kam schon als Altpapier zu mir angeliefert. Kaum eine Schlagzeile, kaum ein Thema, das ich nicht schon kannte, respektive seiner Fortschreibung.

Nicht, dass Ihr mich falsch versteht: Ich liebe die gedruckte Zeitung. Ich liebe die Druckerschwärze an den Händen. Das umständliche Falten und die Verrenkungen beim Umblättern, damit man seinen Sitznachbarn im Flugzeug nicht erschlägt (man nennt es nicht umsonst die „Holz“-Klasse). Das alles gehört . zur Zeitungslektüre wie schrumplige Finger nach dem Baden oder Krümel nach dem Frühstück im Bett. Es ist nur: Die Zeitung und ich, wir haben uns über all die Jahre immer mehr voneinander entfremdet.

Tageszeitungen machen keinen Sinn mehr

Tageszeitungen als Informationsquelle, gedruckt auf Papier, machen für mich keinen Sinn mehr – weder als Leser, noch als Reporter. Wie oft musste ich schon über ein Ereignis schreiben, das noch gar nicht stattgefunden hat, nur um den Andruck nicht zu verpassen. Wie oft sind mir, dem Verlag, am Ende auch den Lesern tolle Geschichten entgangen, weil Sonntags oder auch am Feiertag keine Zeitung geliefert wird. Noch immer machen viele meiner Kollegen den Fehler, Qualitätsjournalismus am Trägermedium festzumachen. Als ob eine gedruckte Agenturmeldung wertvoller wäre, als dieselbe Meldung (einen Tag zuvor) bei Spiegel oder Focus Online!

Wenn Arthur Sulzberger Jr. nun also das Ende der gedruckten Zeitung ausruft („we will stop printing the New York Times sometime in the future, date TBD.“), dann sollte uns das keine Angst machen, im Gegenteil. Schon vor einem Jahr trichterte der CEO seinen Mitarbeitern ein: „We are a news company, not a newspaper company.“ Das Ende einer Ära als Beginn einer neuen Zeitrechnung. Ich bin froh, Teil dieses Wandels sein zu können. Mit meiner Kolumne bei der Münchner Abendzeitung. Mit meiner Arbeit beim Bayerischen Fernsehen. Mit meinem Blog. Ich freue mich auf Lob, Kritik und Anregungen – ich freue mich auf den Austausch mit meinen Zuschauern oder Lesern. Es heisst: der Journalismus sei der erste Entwurf von Geschichte. Wenn dem so ist: lasst uns Geschichte schreiben!


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Frage: Habt Ihr noch ein Zeitungsabo? Wie lange meint Ihr wird es gedruckte Zeitungen noch geben?