Unterwegs nach Kairo

Israel. Eigentlich wollte ich diese Woche nach New York, um dabei zu sein, wenn Rupert Murdoch seine iPad-Zeitung ‚The Daily‘ vorstellt. Dann kam Ägypten. Internet, Handynetze – nachdem heute auch noch Al Jazeera abgeschaltet wurde, habe ich spontan beschlossen, mich nach Kairo durchzuschlagen um selbst dort die Situation zu beobachten.

Die Übergänge im Süden Israels, 100 km von mir entfernt, sind angeblich dicht – dafür habe ich noch einen Platz auf dem letzten Flug bekommen, der hier noch rausgeht. Hoffentlich gibt’s keine Probleme bei der Einreise. Ich halte Euch auf dem Laufenden – per Twitter und hier im Blog – so die Netze das zulassen.

Touchdown Flughafen Cairo. Zu meiner Überraschung begrüßen mich noch im Flughafenbus gleich 3 Mobilfunknetze. Ich entscheide mich gegen Vodafone.. „Sie haben sich einen guten Abend ausgesucht, um hierher zu kommen“ grinst die Flughafen-Mitarbeiterin in Kairo. „Heute ist es ziemlich ruhig“. Ob Taxis fahren, wollen wir wissen. „Ja“ sagt sie. „Die Sperrstunde gilt nur für die Menschen in den Städten.“ Eine Falschinformation, wie sich bald herausstellt. Wie so vieles in diesen Tagen hier.

Das Terminal ist wie ausgestorben. Der letzte Flug, der hier heute noch rausgeht, ist das Flugzeug, in dem wir kamen.Komplett ausgebucht, hatte man mir noch in Tel Aviv erzählt (mein Rückfallplan, für den Fall, dass man mich nicht einreisen lässt). Meine Sorgen sind unbegründet. Die Passportkontrolle ist ein Witz. Der Beamte würdigt meinen Pass kaum eines Blickes, und das obwohl dieser von der ersten bis zur letzten Seite zugepflastert ist mit Stempeln der beiden Länder, auf die Ägypten gar nicht gut zu sprechen ist: Israel und USA. Das Einzige, worauf der Mann achtet ist, ob ich ein Visum habe. Habe ich. Für 15 Euro gekauft, am Schalter gleich um die Ecke.

An den Ausgängen stehen ein paar Uniformierte. Das war es dann aber auch schon mit der Security. Es ist 23:00 Uhr als wir das Flughafengebäude verlassen. Wir, das ist eine ganze Gruppe von internationalen Journalisten, eine Russin, die für den israelischen Channel 9 arbeitet und fließend arabisch spricht. Heather, eine Kollegin vom Guardian, ein weiterer Brite vom Independent. Wir ziehen los, auf der Suche nach einem Taxi. Die Gegend rund um den Flughafen ist wie ausgestorben. Schon beim Anflug haben wir die leergefegten Straßen gesehen. Wie aus einer schlechten Stephen-King-Verfilmung. Unsere Gruppe ist inzwischen zu 9 Personen angewachsen. Und unsere Rollis machen einen Heidenlärm auf dem Asphalt.

Ich selbst reise mit leichtem Gepäck. Computer, eine Touri-Kamera von Canon. Die ist schnell im Rucksack verschwunden wenn’s sein muss und schmerzt auch nicht so, wenn sie gestohlen wird oder kaputt geht. Zur allergrößten Not muss eben das iPhone herhalten. So wie es aussieht, wird das ohnehin mein Hauptwerkzeug bleiben. Denn das Internet ist, wie sich später herausstellt, tatsächlich tot.

Ein Shuttlebus nimmt uns ein Stück mit zum Novotel am Flughafen. Die Lobby dort, das reinste Chaos. Koffer stehen kreuz und quer, die Menschen schlafen mit ihren Jacken über dem Kopf auf Stühlen und auf dem Boden. Touristen, die hier gestrandet sind. Manche berichten, sie seien schon seit 2 Tagen hier. Wir beschließen unser Glück woanders zu versuchen. Zehn Minuten später erreichen wir ein weiteres Hotel. Auch hier gibt es keine Zimmer. Immerhin wirkt die Lobby nicht ganz so überfrachtet. Wir beschließen hier zu bleiben, um dann bei Sonnenaufgang weiterzuziehen. Keiner will heute Nacht den Helden spielen und alleine losziehen. Ich als Letzter.

Update 2 Montag Morgen, 6 Uhr Ortszeit

Erste Meldung der lokalen Radionachrichten (in arabisch „Guten Morgen Ägypten“) ist Mubarak, der später am Tag eine weitere Erklärung abgeben will. Angekündigt wird die Ernennung einer neuen Regierung. Des Weiteren soll die Polizei im Laufe des Tages in die Städte zurückkehren. Unter uns Journalisten kursiert das Gerücht, dass die Ausgangssperre heute schon um 15 Uhr beginnen soll. Haben so gut wie nicht geschlafen. Am Rande: das Internet ist immer noch tot, aber die Kreditkartenlesegeräte und Bankautomaten funktionieren. Ich nehme an, das wird wie bei uns alles über Telefonleitungen abgewickelt. Immer noch keine Autos auf der Straße. Wir machen uns jetzt auf den Weg nach Downtown. Spätestens ab 8 Uhr sollen die Straßen wieder offen sein.

Update 3 Montag Mittag, 13 Uhr Ortszeit

Die Fahrt in die Stadt war abenteuerlich. Es ist Montag, ein ganz normaler Arbeitstag und in den Bussen vor uns drängen sich die Menschen, wie man das sonst nur von Bildern der Tokyoter U-Bahn kennt. Ob das für Kairo um diese Uhrzeit normal ist, kann ich nicht beurteilen. Auffällig ist, dass die Straßen insgesamt verhältnismäßig leer sind. Auf dem Weg ins Zentrum sehen wir, dass die Querstraßen links und rechts der Hauptstraße mit allmöglichen Unrat, sogar Baumstümpfen blockiert sind. Auf Plastikstühlen sitzen Männer in Lederjacken davor, neben sich einige Eisenstangen. Eine Bürgerwehr gegen die nächtlichen Plünderungen.

Irgendwann geht es nicht mehr weiter. Ted (Freelancer Fotograf, USA) und ich sind die letzten beiden im Taxi. Die anderen Kollegen haben wir schon unterwegs an ihren Hotels abgesetzt. Wir geben dem Fahrer wie vereinbart je 20 Dollar. Dann ist er auch schon weg. Ted und ich gehen zufuß weiter, vorbei an ausgebrannten Autowracks und mehreren Armee-Checkpoints. Plötzlich schreitet ein Uniformierter auf uns zu und will die Ausweise sehen. Dann erblickt er meine Pocketkamera, die ich gerade in der Jackentasche verschwinden lassen will. Zu spät. Er gibt uns die Ausweise zurück und deutet uns zu verschwinden. Ohne meine Kamera, natürlich.

Ted, der heute hierher aus dem Gaza-Streifen angereist kam, wirkt unverschämt cool. Wir gehen weiter, passieren mehrere Tanks, bis wir den Tahrir-Platz, den Platz der Freiheit, erreichen. Ein Helikopter kreist über uns, auf dem Platz selbst versprengte kleine Gruppen, nicht größer wie 50 Personen. Die Demonstranten sind jung, nicht älter als 30, tragen vereinzelt Transparente oder Pappen in den Händen. Die Älteren sitzen am Rand des Platzes, sitzen dort und warten. Es ist 10 Uhr Vormittags, die Sonne hat sich aus dem Morgen-Dunst befreit. Eigentlich ein schöner Tag, wenn da nicht die Panzer wären, die sternförmig um den Platz herum die Straßen blockieren.

Zwei Jungs, um die 20 vielleicht, holen uns ein und blockieren plötzlich den Weg. Ted blufft die beiden an, was das soll: „Where are you from“ wollen sie wissen. Trotz ihres Alters wirken die Beiden bedrohlich, was vielleicht auch daran liegt, weil wir nicht wissen, mit wem wir es hier zu tun haben. Auf einmal lassen die beiden von uns ab und ziehen weiter. Ich blicke zu Ted, der meint nur „Hier kann jetzt jeder Polizei spielen“. Nach dieser kurzen Episode trennen sich unsere Wege. Wir tauschen schnell noch Nummern aus, dann geht es weiter.

Gegen 11 Uhr erreiche ich mein Hotel. Anders als die Taxifahrt, sind die Zimmerpreise rapide nach oben geschnellt. Seit gestern, als ich angerufen habe, auf heute von 90 Dollar auf 260. An der Rezeption ein Dutzend Journalisten unterschiedlichster Nationalitäten: sie alle verlangen, jeder mit anderem Akzent, ein Zimmer ganz oben mit Blick auf den Platz. Ich habe Glück. Ich bin zwar nicht ganz oben, habe aber trotzdem einen guten Überblick von meinem Balkon aus. Der Platz füllt sich langsam. Und die Rufe, die man auch bei geschlossener Balkontür noch hören kann, nehmen an Intensität zu.

Update 4 Montag, 16 Uhr, Ortszeit

Zurück vom Tahrirplatz in meinem Hotel. Die Balkontür ist offen, von der Straße dringt jetzt ein konstantes Brummen herauf, wie aus einem Bienenstock. Dazu immer wieder die Parolen „Mubarak geh“ oder „geh nach Hause“ (ich verlasse mich einfach darauf, dass die Übersetzung so stimmt, die man mir dazu gegeben hat). Je später der Nachmittag voranschreitet, desto bunter wird die Schar der Leute.

Zwei Dinge, mit denen ich hier überhaupt nicht gerechnet hatte:

Erstens, die Stimmung ist eher optimistisch und überhaupt nicht aggressiv. Die Menschen lachen viel, posen mit ihren selbstgebastelten Schildern und lassen sich bereitwillig fotografieren.

Zweitens: es sind unglaublich viele Frauen und Kinder unter den Demonstranten. Ganze Familien kommen herbei, um hier dabei zu sein. Und es werden immer mehr.

Und noch eine Beobachtung: vielleicht handelt es sich nicht mehr um eine Facebook- , sondern um eine Handy-Revolution. Jetzt, wo die Leute auf der Straße sind, knipsen und filmen sie sich gegenseitig, was die Speicherkarte hergibt.

Zu den selbstgebastelten Papp-Karton-Schildern mischen sich später am Tag immer mehr professionell gefertigte Flyer (auch in englischer Sprache). Ob billig fotokopiert, oder auch hochwertig bedruckt – die Botschaft lautet sinngemäß: „We are not leaving“.

Ahmed, 26 aus Kairo erzählt mir am Rande der Demonstration seine Geschichte. Er ist Ingenieur und gehört mit seinen 500 Ägypt. Pfund (ca. 100 US$) wohl zu den Besserverdienern. Jobs sind hier in der Gegend Mangelware, sagt er. Er kenne gut ausgebildete Leute, die arbeiten als Tankstellenhilfe, nur um überhaupt Geld nach Hause zu bringen. Die Situation sei für alle schlecht, darum wollen sie auch, dass Mubarak geht. Die Rolle der Armee? Die Armee genießt hohes Ansehen, erklärt Ahmed. (In der Tat: ein Passant ließ sich neben mir mit einem General fotografieren und küsste anschließend dessen Schulterdekoration). Allerdings werden die Zustände auch in den Kasernen immer schlimmer. Die Soldaten sitzen quasi im gleichen Boot, sagt Ahmed, zumindest die unteren Ränge. Was er von den USA halte, will ich noch von ihm wissen. Der 26jährige sagt, die USA seien jetzt nicht so wichtig. Erst müsse Mubarak weg, dann sehe man weiter.

Die Sonne senkt sich langsam über die Häuserdächer. Der Zustrom über die Brücke und aus den Seitenstraßen ebbt jetzt ab. Aber auch nach Beginn der Sperrstunde bleiben Tausende Menschen auf dem Platz und skandieren ihre Parolen.

Mein Hotel (Stern) rund 300m Luftlinie vom Tahrir-Platz entfernt

Update 5 Montag, 20:30 Uhr, Ortszeit

Eins steht fest: Die Nacht wird lang und laut. Rund um den Befreiungsplatz wird die Nacht buchstäblich zum Tag. Das liegt auch daran, weil der Platz in organge-gelben Licht hell erleuchtet ist. Keine Selbstverständlichkeit, denn schon beim Anflug gestern Abend war mir aufgefallen, dass weite Teile der Stadt im Dunkeln liegen. Die Panzer stehen immer noch da, und siehe da, auch die Soldaten darum herum sind immer noch die selben! 12 Stunden stehen die mindestens schon dort. Und entsprechend unmotiviert verlaufen die Kontrollen auf dem Weg zum Platz (Ich hätte denen vermutlich auch meinen Büchereiausweis hinhalten können).

Auf dem Weg hinein kommen mir Dutzende „Schlachtenbummler“ entgegen. Dieser Begriff ist gar nicht so daneben, denn die Gesänge und Parolen, die jetzt zur späten Stunde über den Platz fegen, erinnern tatsächlich ein bisschen an Stadiongesänge. Ein großer, böse drein blickender Mann, hält ein Schild mit einem Schiedsrichter darauf vor sich, der die rote Karte zeigt. Wie passend. Überhaupt: die kreativen Schilder! Leider wurde meine Pocketkamera geklaut (Tag1), sonst hätte ich noch ein paar bessere gemacht. Was Gutes hat meine Handy-Knipserei allerdings auch: mit einem Handy fällt man hier kein bisschen mehr auf.

Jetzt erreiche ich die Rasenfläche, bzw. das, was davon übrig geblieben ist. Dutzende von Zelten und Picknickdecken liegen hier aneineinander greiht, eine Mischung aus Freibad-Liegewiese und Campingplatz. Irgendwo ragt ein Wasserhahn aus der Erde (vermutlich zur Bewässerung des Rasens). Heute Nacht dient er als Waschplatz und Auffüllstation für leere Wasserflaschen. Wenn man hier durch die Menge will, muss man von Rasenfleck zu Rasenfleck springen und aufpassen, kein Backgammon-Brett, kein Teetablett oder keinen Computer zu erwischen. Offensichtlich haben sich hier Viele auf eine lange Nacht vorbereitet.

Aufgehitzter ist die Stimmung auf der Straße, am Rande des Platzes. Hier strömen die Menschenmassen in einem Halbrund entlang den Hausfassaden, winken mit ihren Pappschildern und lassen sich von den Umherstehenden Zuschauern immer wieder anfeuern. Einige Tausend mögen es sein. Und es sind sehr junge Demonstranten, die hier ihre Schilder und Fahnen schwingen. Teenager. Was mich fasziniert (und zugleich auch ein bisschen beängstigt): welche Energie diese Leute auf einmal haben! Seit Stunden nun marschieren Sie hier auf und ab, schreien sich die Kehle aus dem Hals, um gegen den Helikopter anzurufen, der auch Nachts noch regelmäßig seine Runden kreist.

Nach zwei Stunden reicht’s mir. Die Füße tun weh, und so richtig geschlafen habe ich auch noch nicht. Morgen soll Großkampftag werden, wenn die Betriebe alle streiken. Vielleicht, so munkeln Einige, der Tag der Entscheidung.

In dieser Reihe auch erschienen:

Teil 1:  „Unterwegs nach Kairo“

Teil 2:  „Das hier ist jetzt unser Facebook“

Teil 3: „Die letzte Chance“

Teil 4: „Bloggen aus Kairo – Die Bilanz“