Die letzte Chance?

Ein neuer Tag am Tahrir-Square in Kairo. Auch diese Nacht haben wieder Tausende von Menschen unter freiem Himmel verbracht. Von guter Laune ist nur noch wenig zu spüren. Die Demonstranten wirken erschöpft und auch ein wenig ratlos. Keiner weiß wie es jetzt weitergeht. Nur eins steht fest: Die Mubarak-Rede vom Vorabend hat hier niemanden glücklich gemacht. Ganz im Gegenteil…

Meine Bilder der letzten 3 Tage

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Jede Menge Überraschungen

Ich hasse es, wenn ich Vorurteile beerdigen muss, aber in mancherlei Hinsicht bin ich von den Demonstranten überrascht worden. So ist die ganze Veranstaltung besser organisiert, als es auf dem ersten Blick den Anschein hat. Für die Notdurft zum Beispiel gab es von Beginn an eigene Bereiche, auch zum Waschen wurden gesonderte Plätze eingerichtet. Rund um die Uhr sind Dutzende Freiwillige in Aktion: sie sammeln Müll und Unrat von der Straße auf und häufen die Säcke an zugewiesenen Flächen auf. Nur so ist es möglich, dass die Menschen auch eine Woche nach Beginn der Proteste nicht an ihrem eigenen Dreck ersticken.

Mit Beginn der Demonstrationen haben die Organisatoren ausserdem eine eigene ärztliche Notfall-Versorgung aufgebaut. Rund 40 Ärzte aus den umliegenden Krankenhäusern kümmern sich noch an Ort und Stelle um Kreislaufattacken, Verstauchungen oder, wie am vergangenen Freitag, um Schusswunden. Ahmed und Mohamed halten das für selbstverständlich und sagen: die Menschen hier seien doch alles Brüder und Schwestern.

Angriff – die beste Verteidigung?

Auch ihre Sicherheit haben die Demonstranten in die eigenen Hände genommen. Mussten sie wohl auch, denn gerade in den ersten Tagen hatten Mubaraks Leute wohl immer wieder versucht, die Veranstaltung zu unterlaufen. Erinnert Ihr Euch noch an meine Begegnung mit den beiden Schuljungen, die bei meiner Ankunft am Tahrir-Platz meinen Ausweis sehen wollten? Heute weiß ich, was es damit auf sich hat: die Organisatoren haben mit dem Militär einen Deal: Zivilfahnder passen unmittelbar hinter den Militärcheckpoints alle Neuankömmlinge ab, verlangen Ausweise, kontrollieren Taschen. Sobald ein Mubarak-Sympathisant als solcher identifiziert wurde, werden die Soldaten eingeschaltet. Dir kümmern sich dann um das Problem.

Man muss sich das einmal vorstellen: 1-2 Millionen Menschen, dicht gedrängt auf einem Haufen und es kommt zu keinerlei nennenswerten Ausschreitungen – was für eine Bilanz! Die Toten vom vergangenen Freitag seien unvermeidbar gewesen, meint Tighe aus Los Angeles. Der Friedensaktivist, der vom ersten Tag an hier am Tahrir-Platz mit dabei war, ist sogar der Meinung, dass es ohne diesen massiven Einsatz von Gewalt nicht gelungen wäre, Mubaraks Machtapparat zu brechen. Mit dieser Gegenwehr durch die Demonstranten hatte man wohl nicht gerechnet. Nur so waren friedliche Kundgebungen überhaupt erst möglich.

Wie es weitergeht

Ihr merkt, die Menschen rund um diese Großdemo haben mich beeindruckt. Was nicht heißen soll, dass ich nicht auch Probleme sehe. Ich würde meine Hand nicht dafür ins Feuer legen, dass es hier noch länger ruhig bleibt. Als Mubarak am späten Abend verkündet, er wolle bis zum offiziellen Ende seiner Amtszeit im September weitermachen, kippt die gute Laune und schlägt um in Ratlosigkeit aber auch in Wut. „Wir haben ihm so viele Chancen gegeben“ schimpft ein Mann. „Dann müssen wir ihn halt doch aufhängen!“. Er deutet auf eine baumelnde Mubarak-Puppe am Laternenpfahl. „Hitler“ rufen einige. Schuhe fliegen.

Was mich noch viel mehr beunruhigt, sind die vielen kleinen Gruppen, die sich unmittelbar nach der Präsidenten-Ansprache bilden. Da wird viel getuschelt. Viele Männer greifen zum Handy. Gerüchte von Schlägern machen die Runde, die auf dem Weg hierher seien. Von Schüssen oder Tumulten in Alexandria wissen wir zu dieser Zeit noch nichts. Ich beschließe die Nacht heute im Hotel zu bleiben. Wenn was passiert werde ich das auch von hier oben mitkriegen. Und morgen? Morgen ist ein neuer Tag.

Update 1, Mittwoch, 9:30 Uhr Ortszeit

Der harte Kern der Demonstranten hat auch heute wieder die Nacht auf dem Platz verbracht. Die Sprechchöre sind nicht leiser geworden. Der Helikopter, der hier in den Vortagen im Viertel-Stundentakt über die Häuserdächer kreiste, lässt sich heute nur noch selten blicken. Zur Stunde strömen wieder Hunderte Demonstranten auf die Militär-Checkpoints zu, um auf den Platz zu gelangen. Es wird sehr viel diskutiert. Offensichtlich ist man sich noch immer unklar, wie es jetzt weitergeht. Eine Menge wird sicherlich auch davon abhängen, wieviele Menschen heute und in den nächsten Tagen demonstrieren werden.

Zum jetzigen Zeitpunkt sehe ich zwei Gefahren: kommen zu wenig, könnten die Regierungskräfte wieder die Oberhand gewinnen, die ‚Bürgerwehr‘ wäre ohne die Masse der Menschen im Rücken der Polizei hilflos ausgeliefert. Es könnte aber auch sein, dass zu viele Menschen kommen. Das Land befindet sich bereits den zweiten Tag in Folge im Ausstand. Die Müllberge wachsen – hinzu könnten Versorgungsengpässe kommen. Mit Freiwilligen allein wird sich das nicht auf Dauer lösen lassen. Es könnte aber noch etwas passieren, nämlich dass sich die Stimmung dermaßen aufheizt, dass die bislang friedlichen Demonstranten handgreiflich werden oder dass sich einzelne Mobs bilden. Eines der ersten Ziele dann dürften dann wohl der Präsidentenpalast sowie die angrenzenden Regierungsgebäude werden.

Update 2, Mittwoch 13 Uhr Ortszeit

Wie Ihr vielleicht meinen letzten Tweets entnommen habt, hat sich heute Vormittag hier einiges getan. Ein Fotograf aus meinem Hotel will Schüsse gehört haben, ich selbst kann das nicht bestätigen. Was ich bestätigen kann sind lautstarke Pro-Mubarak-Demonstrationen an einem Militär-Checkpoint vor dem Tarhir-Platz. Schon den ganzen Vormittag über tauchen dort immer wieder kleinere Gruppen (ca. 30 Mann-stark) auf, die zornig die Fäuste in den Himmel strecken. Vereinzelt kommt es zu Rangeleien mit Anti-Mubarak-Demonstranten, die hier durch müssen, um auf den Platz zu gelangen.

Bei einer der letzten Aufmärsche haben sich Gruppen, Pro- und Anti-Mubarak auf beiden Seiten der Panzer versammelt und sich gegenseitig angeschrien. Ein Mann neben mir sagt, das könne sehr schnell schief gehen. Ich gehe heute nicht auf den Platz, sondern bleibe lieber außerhalb des Checkpoints und beobachte aus sicherer Distanz die Szene. Männer in schwarzen Lederjacken verteilen Pro-Mubarak-Flyer. Verschleierte Frauen verteilen Fahnen. Seitdem ich hier bin (Montag Morgen) ist es das erste mal, dass ich hier in der Gegend Regierungstreue sehe.

Diese zwei Männer kommen auf mich zu, wollen wissen, woher ich komme. „Sag Deinen Leuten zuhause, dass sich niemand in die Angelegenheiten von uns Ägyptern einzumischen hat. Wir regeln das schon selbst.“

Update 3, Mittwoch 15 Uhr

Dies wird einer meiner letzten Blogposts aus Ägypten sein. Ich sitze im Taxi zum Flughafen. In einer Viertelstunde greift die Sperrstunde – dann gibt es kaum noch einen Weg raus aus der Stadt bis zum nächsten Morgen. Die letzten Stunden, bevor das hier eskalierte, verbrachte ich vor dem Checkpoint zwischen Nilbrücke und Tarhir-Platz. Presse-Kollegen berichten von einer großen Pro-Mubarak-Demonstration vor dem Sendegebäude des Ägyptischen Fernsehens. Ich bleibe auf Position an der Nil-Brücke (hier müssen auch alle Taxis durch!).

Ein Mann mit einer kanariengelb-blauen Lederjacke sticht mir ins Auge. Kein Wunder: Moanes, 30 Jahre alt aus Dubai ist Designer. Durch seine Spiegelbrille steht er an einem Gelände gelehnt, schaut, und raucht. Eigentlich wollte er sich seine Ausweispapiere verlängern lassen, aber die Ämter sind alle geschlossen. Moanes ist gebürtiger Ägypter, lebt aber. mit seiner Frau in Dubai. „Dort gibt es Arbeit“, sagt er. Eigentlich wollte er nur kurz seine Familie in Kairo besuchen, das war vor einer Woche. Jetzt sitzt er hier fest. „Ich bereue es, hergekommen zu sein“ sagt er. „Es sind traurige Zeiten“.

Für welche der beiden Seiten ist er, will ich wissen. „Ich mag Mubarak“, sagt er, er habe viel für dieses Land getan. „Als der Präsident ins Amt kam, bin ich geboren worden“. Moanes spricht in einem sanften Tonfall, ganz anders als die Menschen um uns herum. „30 Jahre ohne Krieg, das haben wir ihm zu verdanken“, sagt er. Auch wirtschaftlich sei alles ganz gut gewesen am Anfang. Es gab eine gesunde Mischung aus armen Menschen, reichen Menschen und vielen dazwischen. Das sei heute nicht mehr so, sagt er und wird plötzlich zornig. Heute gäbe es ein paar wenige „fucking rich people“ und Millionen von „fucking poor people“ und nichts mehr dazwischen.

„Ich weiß nicht mehr, wem ich glauben soll“ sagt Moanes, den Leuten auf dieser, oder denen auf der anderen Seite des Checkpoints. Er zündet sich eine Zigarette an – dann wendet er sich wieder an mich: „It’s hard to change your mind from one day to another, you know.“

In dieser Reihe auch erschienen:

Teil 1:  „Unterwegs nach Kairo“

Teil 2:  „Das hier ist jetzt unser Facebook“

Teil 3: „Die letzte Chance“

Teil 4: „Bloggen aus Kairo – Die Bilanz“