Gibt es ein Leben nach Facebook?

Der geplante Börsengang von Facebook rückt näher, die Fronten zwischen Datenschützern und dem Sozialen Netzwerk verhärten sich. Facebook bringt in Washington, Brüssel und Berlin seine Lobbyisten in Stellung. Zeitgleich macht sich eine „Facebook Fatigue“ bemerkbar. Nutzer der ersten Stunde fragen sich: Gibt es ein Leben nach Facebook?

Michael Umlandt ist mit den Sozialen Netzwerken nicht einfach nur aufgewachsen. Er lebt sie. In seinem Lebenslauf schreibt der 24jährige: „Seit meiner Kindheit liebe ich das Internet“. Im Web wird er gefeiert als einer der beiden „Ghost-Twitterer“ für das ZDF, auf Medienkongressen und in Workshops gibt er Tipps zum richtigen Umgang mit den digitalen Plattformen. Doch über die Jahre ist Umlandt müde geworden. Facebook-müde.

„Es nervt“ sagt Umlandt.“70 bis 80 Prozent, von dem, was meine „Freunde“ dort posten, ist mehr oder weniger sinnbefreit. Das will ich nicht mehr lesen.“ Michael Umlandt hat sich nicht komplett von Facebook verabschiedet, denn als Web-Experte für das ZDF betreut er dort noch zahlreiche Seiten. Seinen privaten Account aber hat er deaktiviert. Facebook Fatigue lautet der neue Trend. Ist Umlandt, der in Deutschland zur Social-Media-Avantgarde zählt, schon wieder ganz vorne mit dabei – diesmal beim großen Exodus?

„What if…“

Facebook genießt seit Jahren einen zweifelhaften Ruf in der Welt, nicht nur in Deutschland. Zu brachial die Methoden der Mitgliederanwerbung, zu oft wurden die Nutzer getäuscht, die gefühlten Grundrechte im Netz (vor allem das Recht auf Selbstbestimmung über die eigenen Daten) mit Füßen getreten. Die Rechnung des „Wachstums um jeden Preis“ ging auf – bis heute.

Irgendwann geht auch die längste Wachstumsphase zu Ende (Länderstatistik). Ist dieser Punkt erst einmal erreicht, zählt nur noch eines: Vertrauen. Und ausgerechnet hier hat Facebook Regenwald-große Flächen verbrannter Erde hinterlassen. Zuckerbergs Führungsstil aus Trickserei, Täuschung und unverhohlener Arroganz gegenüber seinen eigenen Produkten („formerly known as the customers“) haben tiefe Furchen hinterlassen. Facebook, das asoziale Netzwerk.

„Das größte Datenschutzverfahren, das Irland jemals gehabt hat“

Klassische Medien registrieren die wachsende Anti-Facebook-Stimmung mit Genugtuung. Statt aufzuklären, tun sie ihr übriges, um die Ressentiments zusätzlich zu schüren. Ob Bild-Zeitung oder Tagesschau, die Etablierten lassen keine Gelegenheit aus, um das Freunde-Netzwerk in Zusammenhang mit den absurdesten Vorwürfen zu bringen (Facebook-Partys, Facebook-Morde). Kein Wunder. Sind es doch die großen Medienhäuser selbst, die ihren Kunden nachstellen wie kaum eine andere Branche.

Für Millionen-Summen handeln die Verlage mit Adressen und den sozio-demografischen Daten ihrer Leser. „Targeting“ nennt sich sowas im Marketing-Sprech. Das Problem: Während Facebook . seine Mitglieder. mit digitalen Präzisionslasern ausliest, schießen die Traditionalisten noch immer mit Schrotflinten (Nielsen, GfK, Media-Analyse etc.) auf nebulöse Zielgruppen. Preisfrage: Wären Sie ein großer Automobil-Konzern, wo würden Sie wohl in Zukunft ihre Anzeigen schalten?

„Facebook wird in große Erklärungsnot kommen“

Dabei täten die Medien gut daran, gewissenhaft über Facebook zu berichten, statt sich in seichter Stimmungsmache zu verlieren. Denn selbst in den USA scheint man in letzter Zeit genauer hinzusehen, wie sich Facebook über Datenschutz-Richtlinien, schwerwiegender noch, über das Wettbewerbsrecht hinweg setzt. Nach jahrelangem Tauziehen hat sich das Netzwerk jetzt gegenüber der FTC (Federal Trade Commission) in Washington dazu bereit erklärt, den Datenschutz seiner Nutzer ernster zu nehmen. Zuckerberg selbst räumt in einem Blogpost einen â“bunch of mistakes“ ein und führt eigene Versäumnisse auf „poor execution“ zurück. Und so einigte man sich schließlich auf einen Vergleich. Facebook kam ungeschoren davon.

Doch neues Ungemach droht: 4 US-Kongress-Abgeordnete beider politischen Lager haben Mark Zuckerberg letzte Woche eine Frist bis zum 3. Januar gesetzt. Der Facebook-Chef soll Stellung beziehen zu weiteren, möglicherweise schwerwiegenden Datenschutz-Verstößen (siehe PDF-Datei). Dabei handelt es sich unter anderem auch um die Erkenntnisse eines gewissen Max Schrems, jenem Wiener Jura-Studenten, der Facebook dazu gezwungen hatte, die über ihn gespeicherten Daten herauszurücken (siehe Blogpost von September).

Störfeuer wie diese sind Gift vor dem geplanten Börsengang. Je näher der Termin rückt, desto mehr verspüren auch die Strategen in Palo Alto den Druck der Straße, namentlich von der Wall Street. Immerhin geht es hier um ein 10-Milliarden-Dollar-Unterfangen – dem größten IT-Börsengang aller Zeiten, da überlässt man besser nichts dem Zufall.

„Die reine Verarsche – Facebook füttert die Leute ab“

So hat Facebook dieses Jahr eine Reihe von hoch-dekorierten Spin-Doktoren in den Machtzentren der Welt in Stellung gebracht. In Washington beispielsweise vertritt seit Oktober Louisa Terell als Public-Policy-Direktorin die Interessen von Facebook; sie war einst rechte Hand von US-Vize-Präsident Joe Biden. Ebenfalls seit Oktober auf Facebooks Payroll: Erin Egan, Expertin für Datenschutzrecht und Staranwältin im „40 unter 40“-Ranking des National Law Journals. Zuvor sicherte sich Facebook die Dienste von Erskine Bowles (Chief of Staff, US-Präsident Clinton), Joe Lockhart (Sprecher von US-Präsident Clinton), Joel Kaplan (Assistent von US-Präsident George W. Bush) sowie von Marne Levine, Mitarbeiterin von US-Präsident Obama im Weissen Haus.

Im Dienste seiner Majestät und von Facebook: Baron Richard Allan (Foto: Facebook)

Auch in Europa ist Facebook Politiker-Shoppen gegangen und hat Lobbyisten in Flüsternähe zu den gesetzgebenden Parlamentariern installiert: Richard Allan, Mitglied im britischen House of Lords, vertritt Facebook als Director of Policy in Europa. Ihm zur Seite steht seit diesem Sommer Erika Mann, die nach den Wahlen 2009 aus dem Europa-Parlament flog. Die SPD-Politikerin gilt in Brüssel als gut vernetzt, Chef-Lobbyist Allan bezeichnet die Deutsche als ein „leuchtendes Beispiel, wenn es darum geht, den Dialog zwischen politischen Entscheidungsträgern in Europa und den USA zu verbessern“. In den Berliner Freundeskreisen wirbt bereits seit Frühjahr die „politische Salonistin“ Eva-Maria Kirschsieper einflussreiche Freunde für das Freunde-Netzwerk.

Derlei Anstrengungen kommen nicht von ungefähr.. Die Europäische Union arbeitet zur Zeit unter der EU-Justizkommissarin Viviane Reding an einer neuen Datenschutzverordnung. Das Papier sollte erst Ende Januar veröffentlicht werden, doch schon jetzt macht eine Kopie der Regulierungsvorlage die Runde. Der 116-Seiten-starke Entwurf (PDF-Datei) räumt den Nutzern Sozialer Netzwerke weitreichende Rechte zur Kontrolle der persönlichen Daten ein und sieht auch ausdrücklich ein „right to be forgotten“ und ein „right of erasure“ vor, also die Möglichkeit, einmal eingestellte Inhalte zu einem späteren Zeitpunkt verbindlich wieder löschen zu können.

Max Schrems von der Initiative Europe vs. Facebook hält die Vorlage der EU-Kommission für „spannend“, sieht vor allem in der Androhung von empfindlichen Strafen einen ersten Schritt, die Konzerne zum Einlenken zu bewegen. Der 24jährige macht sich aber auch keine Illusion darüber, dass es sich bislang nur um einen Entwurf handle. Bis eine solche Richtlinie erst einmal in nationales Recht umgesetzt werde, sei es noch ein langer Weg.

„Datenschutz ist der neue Umweltschutz“

Schrems sieht eines der Hauptprobleme darin, dass sich nur die wenigsten Politiker mit diesem Thema auskennen. Dabei vergleicht der Wiener Jura-Student das Thema Datenschutz mit dem Aufkommen der Umweltbewegung in den 60er Jahren. Damals sei es noch undenkbar gewesen, dass jemand, der Chemie in den Bach kippt, ernsthaft zur Rechenschaft gezogen wird. Genauso verhalte es sich heute mit dem Datenschutz. „Heute ist es noch unvorstellbar dass, jemand, der Millionen Kundendaten einfach so ins Internet stellt, ins Gefängnis geht.“

Michael Umlandt vom ZDF kann das alles egal sein. Er will sich in Zukunft mit Twitter begnügen und genießt die neu gewonnene Facebook-Freizeit mit anderen Dingen. „Es ist schon so, dass man öfter mal während der Arbeit auf sein Profil geht, um zu sehen, was sich dort getan hat“, sagt er. Das falle jetzt weg. Ob er sich ein Leben ohne Facebook überhaupt noch vorstellen kann? „Es gab ein Leben vor Facebook und es wird auch ein Leben nach Facebook geben“, sagt der Profi-Twitterer im Dienste des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Wie lange er es durchalten wird, will ich noch von ihm wissen: „Schaun mer mal“.

Dieser Blogpost war Dir etwas wert?
Flattr this