Vor 25 Jahren hat Apple den Macintosh Computer präsentiert und damit den PC-Markt revolutioniert. Bricht nach dem Mac, dem iPod, und dem iPhone nun das Zeitalter der Tablet-Computer an? Ist es 1984 all over again?

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Als Steve Jobs, im Alter von 31 Jahren Generalmanager des bei Apple ungeliebten Macintosh-Projektes wurde, soll er einen Satz geprägt haben, der auch heute noch oft zitiert wird: „Let’s be pirates“. Er soll diesen Satz bei einem Team-Meeting auf die Tafel geschrieben haben. Darunter die Zeile „Wir arbeiten 90 Stunden pro Woche und wir lieben es!“ (aus: Young/Simon: Steve Jobs und die Erfolgsgeschichte von Apple). Dann setzte er seiner Piratencrew eine Deadline: ein Jahr bis zur Markteinführung. Ein unmögliches Unterfangen. Doch Jobs war kein Mann, der ein Nein akzeptierte. Er würde den Macintosh zu dem Computer machen, der die Welt veränderte. Und er sollte Recht behalten.

Wer braucht ein Tablet?

Das Tablet gehört zu jenen Produkten, von dem vorher keiner wusste, dass er es brauchen würde, bis es dann da war. Analysten und Tech-Gurus zweifeln bis heute an einem Markt für Tablet-Computer. Doch genau das unterscheidet einen Steve Jobs vom Rest der Managerwelt: er pfeifft auf Marktforschung und verlässt sich lieber auf sein Gespür und seine Leidenschaft zum Produkt. Nicht immer hatte er damit Erfolg (NeXT oder der Cube). Wenn er dann aber einen Treffer landet, dann revolutionieren seine Produkte den Markt. Gehen wir also davon aus, mit dem Tablet-Mac befinden wir uns am Vorabend einer solchen Revolution. Wie könnte die Vision hinter einem solchen Produkt aussehen? Viel wichtiger noch: wer soll es kaufen?

Der Consumer

Stellen wir uns vor: ein überdimensionaler, unverschämt flacher und leichter iPod Touch, der Deine gesamte Musiksammlung an Bord hat. Auf dem Du Zeitungen, Zeitschriften, Bücher und Filme, in gestochen scharfer HD-Qualität anschauen und bei Bedarf nachladen kannst. Ein Gerät, mit dem Du unterwegs E-Mails checkst, Video-Konferenzen – Apple Style – abhalten kannst, mit dem Zeigefinger durch das Internet surfst. Mit dem Du schnell mal Deinen Blog aktualisierst, Fotos, YouTube-Clips mit wenigen Fingerstreichen nachbearbeitest und verschickst. Und wir alle kennen den Apple-Effekt: Wer ein Gerät aus Cupertino in Händen hält, der hat nur noch eins im Kopf: auch-haben-will!

Zeitungen- und Musikverlage

Ein ausgereifter, leicht zu bedienender Reader für unterwegs könnte eine Lücke schließen, die trotz Amazon Kindle und Sony Reader noch immer weit offen klafft: Paid-Content im Netz. Vor allem die Allianz der Google-Gegner, die Zeitungs- und Buchverlage warten noch auf eine Killer-Applikation, die, wie seinerzeit der iPod, längst verlorene Zielgruppen wieder zurück an die Kasse holt. Wer, wenn nicht Apple, wäre dazu in der Lage? Apple-Chef Steve Jobs sagte zwar noch vor einem Jahr:

„It doesn’t matter how good or bad the product is, the fact is that people don’t read anymore.“

Doch Steve Jobs hat schon oft Dinge gesagt, an die er sich nur wenig später nicht mehr erinnern konnte. Entscheidend für die Zeitungshäuser ist: Durch iTunes und App-Store ließen sich (Verlags-übergreifend) Jahresabos, Einzelausgaben, sogar einzelne Artikel für Cent-Beträge (über Kreditkarte oder iTunes-Gutscheinkarten) abrechnen. Wir können davon ausgehen: die Leute würden zahlen.

Hollywood und TV-Sender

Dass Steve Jobs ein Filmversteher ist, wissen wir nicht erst seit Pixar. Auch die Filmindustrie könnte von einem Tablet (und einem funktionierendes Bezahlsystem dahinter) profitieren. Kino für unterwegs, das war bislang immer nur ein schlechter Kompromiss. Menschen, die einen schweren Laptop mit sich schleppten oder auf einem iPod die Augen kaputt machten, gehörten doch eher zur Ausnahme. („Niemand will sich Titanic im Hanuta-Format ansehen!“, Ex-Pro7-Chef Georg Kofler einst auf den Münchner Medientagen). Das Tablet hat die perfekte Größe für Video und kann weltweit rund um die Uhr mit neuen Filmen und TV-Serien bestückt werden.

Spieleindustrie und Softwareschmieden

Apples Geräte waren immer nur so gut, wie die Software, die dafür angeboten wurde. Bislang war auch diese stets fest in der Hand von Apple. Mit dem iPhone hat das Unternehmen einen Paradigmenwechsel eingeläutet: Apple hat sich geöffnet für Drittanbieter. Mit dem Erfolg des App Stores hätte wohl niemand gerechnet, am wenigsten Apple selbst. Und während die Konkurrenz bemüht ist, ihre eigenen App-leger zu installieren ist Apple wieder einen Schritt weiter: Premium-Apps für den großen Screen. Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten für die Programmierer und Spiele-Hersteller.

Die Gerüchte

Die Gerüchteküche kocht in diesen Tagen so heiß wie schon lange nicht mehr. Was ist real, was ist wishful thinking? Als Journalist lernt man, sich auf Fakten zu verlassen: „Be first, but first be right“. Bei unserer aktuellen Mashup-Kultur wird es allerdings immer schwerer, Spreu von Weizen zu trennen – vor allem, wenn es um den Meister aller Geheimnisträger geht: Apple. In der Blogosphere wird gepingt und retweetet, auf Twitter komm raus. Am Ende weiß niemand mehr, wo er sein Halbwissen ursprünglich mal her hatte. Ich zitiere aus dem 80er-Jahre-Meisterwerk „Ferris macht blau“:

„Die Freundin vom Bruder des Freundes der Schwester meiner besten Freundin hat es von ’nem Typen gehört, der den kennt, der mit dem Mädchen geht, das gesehen hat, wie Ferris gestern abend in ’ner Eisdiele ohnmächtig wurde, ich glaube es ist ziemlich ernst!“

Soviel zur Quellenlage. Seit Vorstellung des iPhones vor 2 1/2 Jahren gab es kein Produkt, das die Gemüter der Apple-Jünger und Tech-Fans auf der ganzen Welt ähnlich in Verzückung versetzt hat. Damals wie heute kursierten schon lange vor der Präsentation die wildesten Spekulationen und Fotomontagen im Netz: wie könnte es aussehen, das Apple Tablet?

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In einer Welt, in der eine Elektro-Zahnbürste in drei Kontinenten, zehn Ländern und fünf Zeitzonen gefertigt wird, grenzt es fast an ein Wunder, dass es einer Firma heute überhaupt noch gelingt, ein Produkt bis zur letzten Minute geheim zu halten. Projektteams, die Aufgaben zu lösen haben, ohne dabei zu wissen, woran sie eigentlich arbeiten. Überwachungskameras, die jeden Handgriff am Arbeitsplatz festhalten. Die Streuung von gezielter Desinformation, um undichte Stellen in den eigenen Reihen auszumachen. Aber wer weiß, vielleicht ist selbst das nur ein Gerücht.

Es ist müßig, über den Wahrheitsgehalt der Berichte zu streiten. Deshalb hier eine Aufstellung all jener Spekulationen und Schlussfolgerungen, die das Produkt immer wahrscheinlicher werden lassen:

Die Lieferanten

Angebliche direkte Bestellungen von Apple lassen laut China Daily auf einen 9,7-inch-Bildschirm schließen. Der Selbstmord eines Chinesen, der einen iPhone-Prototypen gestohlen haben soll wirft weiter Fragen auf. Neuesten Gerüchten zufolge handelte es sich gar nicht um das iPhone sondern das heiß erwartete Tablet.

Der Preis

Laut übereinstimmenden Berichten soll sich der Preis des Tablets um 800 US-Dollar herum bewegen und damit im obersten Drittel der Produktkategorie liegen. Das passt in die gewohnt hochpreisige Apple-Geschäftsphilosophie. (Apple-Vize Cook: „we can’t build a great $399 computer, they suck!“)

Das MacBook Air

Die Erfahrungen, die mit dem MacBook Air gemacht wurden, machten die Fertigung des Tablet überhaupt erst möglich – oder war das Air am Ende nur ein besserer Prototyp für das Tablet? Denn: ein Tablet macht nur Sinn, wenn es dünn ist, richtig dünn.

Der Chip

Apple hat im Frühjahr 2008 PA Semiconductor gekauft, eine Aquisition, die Marktexperten aufhorchen ließ. Der Chiphersteller baut stromsparende Prozessoren, ungeeignet für iPod oder iPhone, hervorragend jedoch für größere Modelle.

Die Batterie

Angeblich soll Jobs das Projekt „Tablet“ schon mehrfach begraben haben, solange das Batterie-Problem bestehe. Dies dürfte mit der neuesten Generation von MacBooks nun gelöst sein. Die neuen Akkus werden auch für die kommende iPod-Generation erwartet.

Der Schnee Leopard

Wesentliche Programme inkl. Quicktime sind durch die letzten Updates mit Touch-freundlicher On-Screen-Steuerung versehen worden. Sogar der Safari-Browser lässt sich dank Coverflow mit einem Finger bedienen.

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Die Schrifterkennung

Bei seiner Präsentation des Firmware-Updates für das iPhone überraschte Apple mit einem Detail, dem kaum Beachtung geschenkt wurde: Zum ersten Mal seit dem Newton hat Apple wieder Handschrifterkennung in ein Produkt integriert. Ohne ein solches Feature, wäre jedes Tablet nur ein zahnloser Tiger, oder besser: Leopard (sic!).

Die Wolke

Apple baut gigantische Server-Anlagen (a „big-ass data center“) in North Carolina. Der Fokus auf Cloud Computing spricht für eine ganze Reihe neuer mobiler Geräte. Die Mobile-Me sowie iWork.com-Anbindung wurden bereits in die neue Mac-Software (iLife ’09) integriert.

Der Store

Ohne iTunes/App Store wären iPod/iPhone nicht mehr als schicke MP3-Player/ein schickes Handy. Erst in Kombination mit iTunes-/App Store wurden sie zum Knüller. Auf beide Angebote kann das Tablet von Beginn an zugreifen.

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Die Content-Anbieter

Apple führt wieder verstärkt Gespräche mit der Musikindustrie. Die Rede ist von einer neue Form von Musikalben. Auch Buch- Zeitungs- und Zeitschriftenverlage sollen mit Apple in Kontakt stehen. Die Rede ist von einem Kindle-Killer.

Die Rückkehr

Angeblich soll Steve Jobs nach seiner Operation die Entwicklung des Tablets höchst persönlich in die Hand genommen haben. Wie bei der Produktion des ersten Macs oder zuletzt beim iPhone überlässt der Meister dabei Berichten zufolge nichts dem Zufall („Das ist Mist“).

Die Werbung

Selbst Werbung nimmt Jobs angeblich selbst in die Hand. Der Multi-Millionen-Dollar-TV-Spot „1984“ von Ridley Scott zur Einführung des Macs wurde von Steve Jobs persönlich in Auftrag gegeben. Die Dreharbeiten für das neue „Mystery-Produkt“ sollen angeblich vor wenigen Wochen in einem Amerikanischen Diner stattgefunden haben.

Die Konkurrenz

Der Rückzug (Rausschmiss?) von Google-CEO Eric Schmidt aus dem Apple-Aufsichtsrat zu diesem Zeitpunkt war alles andere als ein Zufall. Der Grund: zu große Interessensüberschneidungen. Experten unken über einen bevorstehenden Kollisionskurs der beiden Häuser.

Das Dementi

Apple Vize-Chef, Tim Cook, stritt in Interviews wiederholt ab, Apple arbeite an einem Netbook. Bei aller Spitzfindigkeit – er hätte nicht gelogen: das Tablet wäre kein Netbook.

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Fazit

Seit Juli ist Steve Jobs wieder zurück auf der Kommandobrücke seiner Piratengaleere. Ob die Crew-Mitglieder T-Shirts mit dem Release-Datum 09/09/09 auf der Brust tragen, wie seinerzeit beim Mac-Release? Soviel ist sicher: Sollten die o.g. Spekulationen zutreffen, handelt es sich bei dem Tablet um ein Gerät, das sämtliche bisherigen Apple-Verkaufsschlager von Mac bis iPhone, also das gesammelte Company-Know-How von 25 Jahren in sich vereint.

Wird das Tablet ein Erfolg? Gegenfrage: Wie könnte ein solches Gerät kein Erfolg werden?

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8 Kommentare
  1. Richard Gutjahr schreibt:

    Jetzt also auch Mashable! Dann ist ja wohl alles klar. ..wo kann ich bestellen? http://mashable.com/2009/09/12/apple-tablet-eats-kindle/

Willkommen!