Das Weihn@chtsmärchen als Web 2.0-Version. In der Hauptrolle: der Medientycoon Robert Murlock, der das Internet hasst und Besuch bekommt von 3 Geistern. Jeden Adventssonntag eine neue Folge – auch. zum Download. für den eReader unterwegs als PDF-eBook.

PICskyghost

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Strophe 4 – Der letzte der drei Geister

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Die Erscheinung kam langsam, feierlich und schweigend auf ihn zu. Als sie näher gekommen war, fiel Murlock auf die Kniee nieder, denn selbst die Luft, durch die sich der Geist bewegte, schien geheimnisvolles Grauen zu verbreiten.

Die Erscheinung war in einen langen, weißen Morgenmantel verhüllt, der nichts von ihr sichtbar ließ, als eine ausgestreckte Hand, an welcher ein goldenes Kettchen baumelte. Wenn diese nicht gewesen wäre, würde es schwer gewesen sein, die Gestalt von den Nebelschwaden zu trennen, welche sie umgab.

Als sie neben ihm stand, fühlte er, dass sie gar nicht so groß und stattlich war, wie sie zunächst erschien, und dass ihre geheimnisvolle Gegenwart ihn mit einem feierlichen Grauen erfüllte. Er wußte weiter nichts, denn der Geist sprach und bewegte sich nicht.

Murlock nahm all seinen Mut zusammen und machte einen Schritt auf den Geist zu. »Ich stehe vor dem Geiste der zukünftigen Weihnachten?« fragte er.

Der Geist antwortete nicht, sondern wies mit der Hand auf die Erde.

»Du willst mir die Schatten der Dinge zeigen, welche nicht geschehen sind, aber geschehen werden,« fuhr Murlock fort. »Willst du das, Geist?«

»Nein, Du Idiot!« bellte es plötzlich unter der Kapuze des Morgenmantels hervor. »Ich will, dass Du von meinem Fuß runtergehst! Du stehst drauf!«

»Geist der Zukunft – Du kannst ja sprechen!« rief Murlock erstaunt.

»Natürlich kann ich sprechen, Sherlock!« maulte die Gestalt.

»Murlock …eigentlich.« korrigierte Murlock.

Der Geist beugte sich nach vorne, um im nächsten Moment die Kapuze, welche sein Antlitz verhüllte, hinweg zu ziehen. Obgleich so ziemlich an gespenstische Gesellschaft gewöhnt, fürchtete sich Murlock vor diesem Moment so sehr, dass seine Kniee wankten.

»Das gibt’s doch nicht!« platzte es aus Murlock heraus, als er den Kopf seines Gegenüber nun unverhüllt sah.

»DU?! …der Geist der künftigen Weihnachten?« Murlock verstand nun gar nichts mehr.

PICHugh»Tu nicht so erstaunt, Robert!« maulte der Geist. »Wir alle wussten, dass es so kommen würde« Der Geist zog jetzt einen vergilbten Fetzen Papier aus seiner Manteltasche.

»Hugh Hefner tot im Bett seines Playboy Mansions gefunden« las Murlock auf dem Zeitungsausschnitt.

»Deine letzte Headline, bevor Dein Revolverblatt eingestellt wurde. Welch Ironie!«, jauchzte der Geist.

»Das Wall Street Journal – eingestellt?« sagte Murlock. »Nur über meine Leiche!«

Die Gestalt lächelte. Die Erscheinung bewegte sich von ihm weg, wie sie auf ihn zugekommen war. Murlock folgte dem Schatten ihres Gewandes, welcher, schien es ihm, ihn erhob und von dannen trug.

Kaum war es, als ob sie in die City träten; denn die City schien mehr rings um sie in die Höhe zu wachsen und sie zu umstellen. Aber sie waren doch im Herzen derselben, auf der Börse unter den Kaufleuten, welche hin und her eilten, mit dem Gelde in ihren Taschen klimperten, in Gruppen miteinander sprachen, nach dem Display blickten und gedankenvoll mit den großen, Apps daran spielten, wie Murlock es oft gesehen hatte.

PICHefner

Der Geist blieb bei einer Gruppe College-Studentinnen stehen. Murlock sah, dass die Hand der Erscheinung darauf hinwies, und so näherte er sich ihnen, um ihr Gespräch zu belauschen.

»Nein« sagte eine Brünette mit ungeheuern Rundungen, »Der Freund der Schwester eines Freundes hat re-tweetet, von diesem Typen, der diesen Blog kennt, von dem Jungen, der gehört haben will, dass er tot ist.«

»Wann starb er?« frug eine Blonde.

»Vorige Nacht, glaub‘ ich.«

»Nun, wie geht das zu?« fragte eine Dritte, einen Schluck aus ihrem Becher Non-Fat-Soy-Milk-Latte nehmend. »Ich glaubte, er würde nie sterben.«

»Weiß Gott, wie es zugeht,« sagte die Erste gähnend.

»Was hat er mit seinem Gelde angefangen?« näselte eine Rothaarige mit einem großen Pflaster auf ihrer Nase.

»Ich habe nichts davon gehört,« sagte die schöne Brünette abermals gähnend. »Mir hat er’s nicht vermacht. Das weiß ich.«

Dieser anmutige Scherz wurde mit einem allgemeinen Gelächter aufgenommen.

»Es wird wohl ein sehr billiges Begräbnis werden,« fuhr dieselbe Sprecherin fort; »denn so wahr ich lebe, ich kenne niemand, der mitgehen sollte.«

»Geschieht ihm ganz recht,« bemerkte die Rote mit dem Pflaster auf der Nasenspitze. »hat sich nie um sein Publikum geschert, der alte Raffhals. Würde mich nicht wundern, wenn er selbst noch zu seinem Begräbnis Eintritt verlangt!«

Ein neues Gelächter. Sprecherinnen und Zuhörer gingen fort und mischten sich unter andere Gruppen.

»Keiner von uns kann seiner gerechten Strafe entgehen!« orakelte der Geist.

»Du meinst den Mann, über den die Mädchen so abschätzig geredet haben?« frug Murlock.

»Ich spreche von mir!« sagte der Geist. »So viele heiße Bräute hier auf Erden, und ich bin in alle Ewigkeit verdammt, ein körperloser Geist zu sein!«

PICcrowdsDie Erscheinung schnürte den Gürtel ihres weißen Morgenmantels fester und schwebte weiter auf die Straße. Ihre Hand wies auf zwei sich begegnende Personen.

Murlock hörte wieder zu, in der Hoffnung, hier die Erklärung zu finden.

Diese Leute kannte er recht gut. Es waren Kaufleute, sehr reich und von großem Ansehen. Er hatte sich immer bestrebt, sich in ihrer Achtung zu erhalten, das heißt in Geschäftssachen, bloß in Geschäftssachen.

»Wie geht’s?« sagte der eine.

»Wie geht’s Ihnen?« sagte der andere.

»Gut,« sagte der Erste. »Der alte Geizhals ist endlich tot, wissen Sie es?«

»Ich las es soeben auf dem iPad,« erwiderte der Zweite. »’s ist kalt, nicht?«

»Wie sich’s zu Weihnachten paßt. Sie sind wohl kein Schlittschuhläufer?«

»Nein, nein. Habe an andere Sachen zu denken. Guten Morgen!«

Kein Wort weiter. So trafen sie sich, so schieden sie.

Murlock war erst zu staunen geneigt, dass der Geist auf anscheinend so unbedeutende Gespräche ein Gewicht zu legen schien; aber sein Gefühl sagte ihm, dass sie eine verborgene Bedeutung haben müßten und er dachte nach, was wohl diese sein möge.

Die Scene hatte sich geändert und Murlock stand nun dicht vor einem Bett, einem einsamen, unverhangnen Bett, wo unter gammligen Zeitungspapier etwas Verhülltes lag, was, obgleich es stumm war, sich doch in grausenerregender Sprache nannte.

PICbedDas Zimmer war sehr finster, zu finster, um etwas genau erkennen zu können, obgleich Murlock, einem geheimen Gefühle gehorchend, sich umschaute, voll Begier, zu wissen, was für ein Zimmer es sei. Ein bleiches Licht, welches von draußen kam, fiel gerade auf das Bett; und auf diesem, geplündert und beraubt, unbewacht und unbeweint, lag die Leiche dieses Mannes.

Murlock blickte die Erscheinung an. Ihre reglose Hand wies auf das Haupt des Leichnams. Das Zeitungspapier war so sorglos zurecht gelegt, dass das geringste Verschieben, die leiseste Berührung von Murlocks Finger das Antlitz enthüllt hätte. Er dachte daran, fühlte, wie leicht es geschehen könnte, und sehnte sich, es zu thun; aber er hatte nicht mehr Macht, die Hülle wegzuziehen, als den Geist an seiner Seite zu entlassen.

»Hugh, altes Haus,« flehte er, »dies ist ein schrecklicher Ort. Wenn ich ihn verlasse, werde ich nicht seine Lehre vergessen, glaube mir. Laß uns gehen.«

Immer noch wies der Geist mit reglosem Finger auf das Haupt der Leiche. »Was für ein lausiges Ende. « sagte er abschätzig. »Auch ich starb zu Weihnachten nackt im Bett, doch wenigstens war ich dabei nicht alleine, wenn Du verstehst, was ich meine!« Der Geist lachte. »Willst Du nicht nachsehen, wer drunter liegt?«

»Ich thäte es, wenn ich könnte.« sagte Murlock. »Aber ich habe die Kraft nicht dazu, Geist. Ich habe die Kraft nicht dazu.«

Der Geist rollte mit den Augen.

»Wenn irgend jemand in der Stadt ist, der bei dieses Mannes Tod etwas fühlt,« sagte Murlock erschüttert, »so zeige mir ihn, Hugh, ich flehe dich darum an.«

PICbridgeDer Geist führte ihn durch mehrere Straßen, durch die er oft gegangen war; und wie sie vorüber schwebten, hoffte Murlock sein zukünftiges selbst hier und da zu erblicken, aber nirgends war er zu sehen. Sie traten in das Redaktionsbüros des Wall Street Journals, das weiß Gott schon bessere Zeiten gesehen hatte.

Alles war ruhig, alles war still, sehr still. Die lärmenden Telefone, die Monitore und Drucker tot, wie Steine.

In einer Ecke standen zwei Männer, der eine mit grauen Schläfen, der andere mit drahtlosen weißen Knöpfen in den Ohren. Trotz des vorangeschrittenen Alters erkannte Murlock die Beiden sofort wieder: sein Assistent und der Praktikant.

»S’ist vielleicht besser so,« sagte der jüngere, bevor der Grauhaarige einen Schalter an der Wand betätigte und das Licht in den Hallen für alle Zeiten erlosch.

Murlock und sein nebulöser Begleiter blieben zurück in tiefster Finsternis.

»Hugh,« sagte Murlock, »ein Etwas sagt mir, dass wir bald scheiden werden. Ich weiß es, aber ich weiß nicht wie. Sage mir, wer es war, den wir auf dem Totenbett sahen.«

Der Geist der zukünftigen Weihnachten führte ihn wie früher durch die City. Doch er verweilte nirgends, sondern schwebte immer weiter, wie nach dem Ort zu, wo Murlock die gewünschte Lösung des Rätsels finden würde, bis ihn dieser bat, einen Augenblick zu verweilen.

Sie standen auf einem Kirchhof. Hier also lag der Unglückliche, dessen Namen er noch erfahren sollte, unter der Erde. Der Ort war seiner würdig. Rings von hohen Häusern umgeben; überwuchert von Unkraut, entsprossen dem Tod, nicht dem Leben der Vegetation; vollgepfropft von zu viel Leichen; gesättigt von übersättigtem Genuß.

Der Geist stand inmitten der Gräber still und wies auf eins derselben hinab.

»Worauf wartest Du, Du Alter Tunichtgut,« sagte der Geist, »Ich hab noch ein Date mit Marilyn. So eine lässt man nicht warten, nicht mal in der Ewigkeit.«

Murlock näherte sich ihm zitternd. Die Erscheinung war noch ganz so wie früher, aber ihm war es immer, als sähe er eine neue Bedeutung in der düstern Gestalt.

»Ehe ich mich dem Stein nähere, den du mir zeigst,« sagte Murlock, »beantworte mir eine Frage. Sind dies die Schatten der Dinge, welche sein werden, oder nur von denen, welche sein können?«

»Willst Du jetzt endlich herkommen!« rief der Geist ungeduldig.

»Die Wege des Menschen tragen ihr Ziel in sich,« sagte Murlock. »Aber wenn er einen andern Weg einschlägt, ändert sich das Ziel. Sage, ist es so mit dem, was du mir zeigen wirst?«

Der Geist verdrehte einmal mehr seine Augen.

Murlock näherte sich zitternd dem Grabe und wie er der Richtung des Fingers folgte, las er auf dem Stein seinen eigenen Namen.

»Robert Murlock«

PICSTONE»Bin ich es, der auf jenem Bett lag?« rief er, auf die Kniee sinkend.

Der Geist kramte in seiner Manteltasche und zog eine dicke Zigarre hervor.

»Nein, Hugh, o nein!«

Der Geist entzündete die Zigarre mit einem Streichholz an Murlocks Grabstein und paffte genüsslich.

»Hugh, altes Haus,« rief Murlock, sich fest an sein Gewand klammernd, »ich bin nicht mehr der Verleger, der ich war. Ich will ein anderer Mensch werden, als ich vor diesen Tagen gewesen bin. Warum zeigst du mir dies, wenn alle Hoffnung vorüber ist?«

Zum ersten mal schien die Hand zu zittern.

»Guter Freund,« fuhr er fort, »dein eigenes Herz bittet für mich und bemitleidet mich. Sage mir, dass ich durch ein verändertes Leben die Schatten, welche du mir gezeigt hast, ändern kann!«

Die gütige Hand zitterte.

»Ich will den Journalismus und meine Leser in meinem Herzen ehren und versuchen mich zu ändern. Ich will nicht nur in der Vergangenheit sondern auch in der Gegenwart und in der Zukunft leben. Die Geister von allen dreien sollen in mir wirken. Ich will mein Herz nicht in der Vergangenheit verschließen. O, sage mir, dass ich die Schrift auf diesem Steine weglöschen kann.«

In seiner Angst ergriff er den Gürtel des Geistes. Der Geist versuchte, sich von ihm loszumachen, aber er war stark in seinem Flehen und hielt daran fest. Der Geist, noch stärker, riß sich los.

Wie er seine Hände zu einem letzten Flehen um Aenderung seines Schicksals in die Höhe hielt, sah er, wie der Bademantel des Geistes durch den Zug am Gürtel in sich zusammenfiel und am Boden seines Schlafzimmerfußbodens liegenblieb.

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Das letzte Kapitel erscheint am 1. Weihnachtsfeiertag, 25. Dezember unter:. http://gutjahr.biz/blog

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1 Kommentare
  1. ApfelMuse schreibt:

    Hab mich wieder königlich amüsiert und bin jedes Mal begeistert welche Figuren auftauchen. Klasse wie das verbreiten von Todesnachrichten via Twitter auf die Schippe genommen wird, aber dass das Ende erst am 25.12. zu lesen ist, das ist echte Folter.

Willkommen!