Das „Jesus-Tablet“ ist da und zwingt die Medienwelt zum Handeln. Es ist eine Gelegenheit für die Verlage, es diesmal richtig zu machen. Wann kriegt man als Unternehmer schon eine solche zweite Chance? Eine dritte wird es für einige vermutlich nicht mehr geben.

Ihr dürft mir gratulieren: im August (!) 2009 habe ich das erste mal äußerst detailliert über das Apple Tablet gebloggt. Nicht nur, dass ich mit 90% meiner Annahmen richtig lag; sogar meine primitive Photoshop-Montage von damals kam dem iPad erstaunlich nahe. Spooky.

Viele Freunde, Follower und Kollegen wollten von mir wissen, was ich von dem Gerät halte. Ich muss zugeben, zunächst war ich etwas enttäuscht: keine Flash-Grafik, keine Video-Konferenz, auch das Design hat mich auch nicht sonderlich vom Hocker gehauen. Offenbar war ich in guter Gesellschaft: Tech-Blogger haben das Gerät seziert und in ihrer Wut über die eingeschränkte connectivity das iPad sogar mit einem Stein verglichen.

Quelle: techcrunch

Auch seriöseste Verleger und Feuilletonisten fühlten sich in den letzten Tagen dazu berufen, Kritik zu üben. Allerdings (ist Euch sicher auch aufgefallen), taten sie das verdächtig leise. Viele fürchten wohl, dass dieses iDing ein Erfolg werden könnte und dass sie am Ende (wieder mal) als Deppen dastehen (siehe iPhone). So zeigt sich FAZ-Mitherausgeber Frank Schirrmacher im Spiegel von morgen äußerst ambivalent: „Apple gibt die Lösung vor, und wir alle laufen ein bisschen zu freudig mit“ (Update 1.2. in der FAZ: Frank Schirrmacher über das iPad)

Dabei sollten gerade wir Journalisten und Medienschaffende jubeln! Ganz gleich, ob das Apple iPad nun zum Volks-PC wird oder nicht: iPhone und iPad haben schon jetzt für unseren Berufsstand mehr getan, als viele Verleger und Journalistenverbände in den vergangenen 10 Jahren zusammen. Ich habe mal versucht, das anhand eines Videos zu verdeutlichen:

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(Tipp: bei 3:50 – ein blöder Versprecher)

Natürlich weiß ich, dass man viele dieser irren Anmeldeprozeduren nur einmal durchlaufen muss, und dass mit der zweiten Bestellung alles deutlich schneller geht. Das Problem: jeder Verlag und jedes Heft verlangt eine extra-Anmeldung, d.h. ein gutes Dutzend Passwörter, Mädchennamen der Mutter und Sicherheitsabfragen, die man über sich ergehen lassen muss, während man eigentlich nur Eines möchte: Lesen!

Es gibt einen Grund, weshalb Apple-CEO Steve Jobs am Ende seiner iPad-Show erneut darauf hingewiesen hat, über wie viele Kreditkartendaten (125 Millionen) er mit seinem iTunes- Store verfügt. Eine Machtdemonstration gegenüber zaudernden Content-Partnern, sich endlich ihm und Apples Vertriebsplattform zu unterwerfen.

Wäre das so schlimm? Der Economist fragt hierzu in seinem Leitartikel:

Wäre ein von Apple erschlossener und beherrschter Markt schlimmer, als ein schrumpfender oder gar kein Markt?

Dabei geht es den Verlagen gar nicht allein um die Provision, die sie an Apple zu zahlen hätten. Vielmehr geht es ihnen um die wertvollen Kundendaten, die für sie dann unerreichbar wären, weil nur Apple diese besitzt! Maßgeschneiderte Online-Werbung für die Verlage fiele dann nämlich flach.

Zwei Schulen

Was wir zur Zeit wieder erleben, sind zwei Schulen, die sich schon immer unversöhnlich gegenüber standen: Die Vertreter der einen Seite beschwören mantra-artig die Freiheit des Netzes. Alles muss offen sein, offene Standards, keinerlei Closed-Shops. Und natürlich: alles gratis. (s. dazu mein Interview mit Jeff Jarvis)

Die anderen wollen die Kontrolle über ihre Inhalte und Technologie behalten und sich somit ihre Gewinne sichern. Entwickeln eigene Hard- und Softwarestandards, die nicht selten zu Lasten der Kunden gehen (siehe aktuell den Flash-Krieg zwischen Apple und Adobe).

In manchen Fällen machen solche geschlossenen Systeme jedoch Sinn. So erweisen sich zum Beispiel Apple-Produkte als äußerst bug-resistent. Sie stürzen verhältnismäßig selten ab und sind so gut wie virenfrei. Viel wichtiger: Die Hardware, Software und die Inhalte harmonieren miteinander, was am Ende den Benutzern zugute kommt.

Wäre es undenkbar, dass beide Systeme eine Koexistenz führten? Dass es das freie Netz, daneben aber auch einfache und attraktive Angebote hinter einer Paywall (‚touch & pay‘) gibt?

„Haben wir doch alles schon versucht!“ höre ich die Verleger maulen. Ich sage: Nein, habt Ihr nicht! Was ich bisher gesehen habe, reicht bei weitem nicht, um dafür Geld zu verlangen. Print-Texte lieblos 1:1 ins Netz zu stellen, als stinknormale PDF-Dateien (und dafür auch noch fast den Ladenpreis zu verlangen!), das ist kein Versuch, das ist Verweigerung und eine Verkennung sämtlicher technischer und kreativer Möglichkeiten!

„The iPod is a giant iPhone on steroids“, schreibt der Economist. Worauf es jetzt ankommt, ist von dieser Technologie endlich Gebrauch zu machen.

Ich freue mich auf einen iNews-Store, auf neue kreative Spielformen des Journalismus, wie zum Beispiel die Audio-Slideshows eines Matthias Eberl (für Print-Anbieter), die Sendung mit dem Internet von Daniel Fiene (Hörfunk) oder auch jüngst unsere eigenen Gehversuche mit Appstory.TV.

Am Tag nach der Apple-Präsentation online gegangen: Appstory.tv

Es geht nicht darum, welche Schnittstellen das Tablet hat und ob es von Apple, Microsoft oder von Google gebaut wurde. Das iPad ist in erster Linie erstmal ein „Rahmen“, ein Platzhalter, eine Projektionsfläche. Am Ende kommt es auf die Inhalte an und darauf, wie leicht sie erreichbar sind. Wie ich schon neulich in einem Interview im Deutschlandradio erklärt habe: die Zeit, auf das böse Internet und dessen Profiteure zu schimpfen ist vorbei. Apple hin, Google her – auf die Angebote kommt es an, nicht auf die Geräte. Content is king – oder auf die Neuzeit übertragen: it’s the Apps, stupid!

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22 Kommentare
  1. rip schreibt:

    Ja, der Versprecher ist nett. Hübsch auch 0:58 („den aktuellen Spiegel“) ;-)
    Was die Prophezeiung am Ende des Videoclips betrifft: Ich stimme zu.

  2. Eva Brandecker schreibt:

    Vielen Dank für den Reality Test … mal sehen ob Spokus & Co. sich das zu Herzen nehmen. Und: SPOKUS ist doch sehr charmant, bei dem Hokuspokus, den man veranstalten muss um in den Genuss der altehrwürdigen Medien zu kommen ;-) Sehr nett!

    • Richard Gutjahr schreibt:

      @Eva Nichts ist härter als die Wahrheit – und die tut oft weh… Danke für’s Feedback!

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