Aus aktuellem Anlass: ein politischer blogpost zum Thema Netzsperre. Diskutiert mit mir. Schickt mir Eure Meinung. Wähler, Nichtwähler, Politiker – herzlich willkommen!

Update: interessante Einblicke hinter die Kulissen des Bundestages zum Thema „Internet“ im Kommentarteil

Politischer Aschermittwoch. Gerade verkündet die Bundesjustizministerin (die mit dem sperrigen Namen) mit ihr werde es keine Internetsperre geben. Am selben Tag setzt Bundespräsident Köhler die Unterschrift unter das Gesetz zur Netzsperre, ein Gesetz, das zu diesem Zeitpunkt keiner mehr will, weil selbst diejenigen, die es einst gefordert hatten, inzwischen lernen mussten, dass es mehr schadet als nutzt (die ganze Geschichte kompakt zum Nachlesen gibt’s hier bei Spiegel Online).

Google, Gewaltspiele, Raubkopien – schnell reden wir darüber, wie sich das Netz ändern muss, was für Verfehlungen sich die bösen Internet-User (67% der Deutschen) leisten. Sollten wir den Blick nicht mal auf die wirklich Mächtigen richten, die, so empfinde ich das jedenfalls, aus einer Epoche heraus regieren, die schon längst nicht mehr die meine ist.

Ernsthaft: Ich bin 36 Jahre alt, seit 20 Jahren schaue ich den Bericht aus Berlin (früher Bonn), lese Internet (früher Zeitung). Wenn ich mich mit Politikern (bzw. deren Assistenten) unterhalte, beschleicht mich jedes Mal das Gefühl ich bin im falschen Film, gefangen im gestern wie Marty McFly, der darauf wartet, dass endlich der Blitz einschlägt.

Karrieristen, die sich weder für ihre Themen interessieren, am wenigsten für ihre Wähler. Ressort-Hopping, statt echtes Interesse für ein Thema, und das nur, um auf der Karriereleiter möglichst schnell nach oben zu kommen. Und nach der aktiven Zeit wartet ein fetter Berater-Vertrag beim Energie-Versorger (Schröder & Fischer), Telekom-Unternehmen (Bangemann), Versicherungs-Konzerne (Rürup) oder in der Auto-Industrie (Wissmann). Natürlich gibt es Ausnahmen. Aber um die geht es hier nicht.

Ob Regierung oder Opposition: die Politik ist so sehr mit sich selbst beschäftigt, als hätte es das Internet mit seinem Rückkanal nie gegeben. Klar: ein Politiker, der was auf sich hält, hat heute eine Homepage. Cool. Aber kümmert es ihn wirklich, was seine Wähler denken?

Stattdessen Wählerbeschimpfung: Alle so unpolitisch! Keiner interessiert sich mehr für Politik! Mit politischer Arbeit ist ja heutzutage keiner mehr zu erreichen! Really? Schon mal auf den Gedanken gekommen, dass das Problem am Absender liegen könnte und an den Ritualen aus längst vergangener Zeit? (Aschermittwoch: „Tsunami…Westerwelle“ hö-hö.)

Dabei ist das Volk politisch interessiert. Die Zensursula-Bewegung war nur ein Beispiel dafür. Rauchergesetz, Nacktscanner, Atompolitik, Bildung, Haiti, Anti-Naziaufmärsche…

Das interessiert aber gerade nicht – denn: die Superwahljahre sind vorbei. Kurz vor den nächsten Wahlen dann wieder der Auftrag an die PR-Agentur: Macht uns da mal was im Internet! Zu immensen Summen (=Steuergeldern) aus dem Wahlkampf-Finanzierungsgesetz, über die selbst Alt-Kanzler Helmut Schmidt sich die Haare rauft (siehe Hintergrundgespräch Hamburg Media School).

Und wenn gerade mal keine Wahl ist, dann wird schön vor sich hin regiert. Partizipation Fehlanzeige.

Wo sind die Kommentar-Funktionen auf Euren Seiten, die ungeschminkten Diskussionen mit dem Wähler, die Web 2.0-Angebote? Das Web funktioniert für die meisten Abgeordneten noch immer wie ein verlängerter Tapeziertisch in der Fußgängerzone. Da, bitteschön, nehmen Sie ein Flugblatt!

Von wegen: Alle Macht geht vom Volke aus. Und Alle so: Yeaahh.

Freue mich über eine angeregte Diskussion mit Euch: Please comment!

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37 Kommentare
  1. Thomas Cloer schreibt:

    Recht haste. Das Ganze ist aus meiner Sicht primär ein Generationsproblem. Die politische Kaste in Deutschland ist überaltert. Und vieles, was von unten „nachwächst“, ist im Kopf eigentlich auch schon zu alt. Weil die jungen Politikverdrossenen keine Lust mehr haben, sich vom Ortsverein aus nach Berlin hochzuarbeiten. Weil das a) viel zu lange dauert und b) zu vieler fauler Kompromisse bedarf.

    Ich bin mal sehr gespannt, wie sich die aktuelle APO weiterentwickelt. Im Moment klafft da jedenfalls eine enorme digitale Kluft zwischen den Nicht/Protestwählern und ihren vermeintlichen Repräsentanten.

    • Richard Gutjahr schreibt:

      @Thomas Wenn man es nur auf das Alter schieben könnte. Ich denke Du hast Recht, dass die meisten Hoffnungsträger (manche davon sind einfach auch nur nachgerückt aus Mangel an Alternativen) auf dem Weg nach das letzte bisschen Idealismus ausgetrieben bekommen. Eine APO? Gibt es die? Ich sehe nur eine wachsende Zahl an Nichtwählern, die einfach nur resigniert und ihre Zeit und Kraft lieber in Mikro-Projekte steckt, wo sie auch ein Feedback bekommen. Vielleicht auch ein Weg. Wozu noch Berufs-Politik?

  2. zatrix23 schreibt:

    Recht hast du!
    In diesem Land läuft so EINIGES schief und es frustriert mich wahnsinnig.
    Wo soll das alles noch hinführen.

    Aber meine Befürchtung ist aber, das selbst heranwachsende Generationen die eher mit dem Internet vertraut sind auch nichts ändern werden. Das ist eine Eigenart der Politiker.

    • Richard Gutjahr schreibt:

      @zatrix23 Witzig, dass Du (wie Dein Vorgänger – und auch ich) zu dem selben Schluss kommen: irgendwas geschieht mit jungen Politikern auf dem Weg nach oben. Vielleicht liegt es am Schlips-Tragen? Zitat aus dem Michael-J.-Fox-Klassiker Das Geheimnis meines Erfolges: …schnürt wahrscheinlich die Sauerstoffzufuhr zum Gehirn ab ;-)

Willkommen!