Der Verkauf der Washington Post an Jeff Bezos von Amazon war mehr als nur ein Wake-Up-Call an alle Medienmacher weltweit: Kümmert Euch gefälligst um Eure Kunden, nicht um Eure Bilanzen!*

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* Original-Veröffentlichung bei Spiegel Online am 7. August 2013

Eine Welt im Umbruch

Am Eingang des Schwabinger Karstadts, dort wo ich mir früher immer den SPIEGEL geholt habe, werden heute Stützstrümpfe verkauft. Stützstrümpfe! Mehr Symbolik geht nicht. Den Kiosk gibt es schon seit eineinhalb Jahren nicht mehr, erklärt mir eine Verkäuferin. Ich weiß nicht, worüber ich mich mehr wundern soll; die Tatsache, dass die Zeitungsecke verschwunden ist, oder dass mir das erst heute aufgefallen ist.

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Borderline: Schließung der US-Buchhandelskette BORDERS im Herbst 2011

(Hier Filiale in Palo Alto, Silicon Valley)

 

Rivers of Gold 

Mit dem Siegeszug von iTunes verschwanden die CD-Regale. Dank Amazon folgten die Bücher und später dann der Zeitungskiosk. Vor wenigen Wochen wurde die DVD-Abteilung aufgelöst. Warum ich diesen Bogen spanne: Wir Journalisten sind schnell dabei, andere Branchen für ihre mangelnde Innovationsfreude zu kritisieren. Doch wenn es um unsere eigenen Versäumnisse im Internet-Zeitalter geht, scheinen diese Maßstäbe nicht zu gelten.

Das Problem derer, die in den Medienhäusern aktuell am Ruder sitzen: Sie kennen Konjunkturkrisen, aber keine Strukturkrisen. Für die Erben-Generation der Verlegerfamilien hatte die Sonne immer geschienen. Renditen von 20 bis 30 Prozent waren die Regel. Rupert Murdoch bezeichnete die Anzeigenerlöse einst als „rivers of gold“. Oder wie es ein deutscher Verleger mir gegenüber mal am Rande einer Tagung formuliert hatte: Die Lizenz, im Nachkriegs-Deutschland eine Zeitung herausbringen zu dürfen, war über Jahrzehnte hinweg eine Lizenz zum Gelddrucken.

Ausgangspunkt einer jeden Diskussion zum Thema Zukunft der Zeitung ist die Prämisse: Wir brauchen Zeitungen. Punkt. Und ja, die müssen sich halt jetzt irgendwie ändern, damit sie nicht sterben. Gegenfrage: Wer sagt denn, dass wir gedruckte Zeitungen überhaupt brauchen? Sind sie systemrelevant? Etwa wegen der großen aufklärerischen Leistung, die deutsche Qualitätszeitungen im Zusammenhang mit der Bankenkrise, dem Überwachungsskandal oder der Leistungsschutz-Debatte an den Tag gelegt haben?

Was ist normal?

Wie muss sich die Zeitung verändern, damit sie in Zukunft genügend Leser findet? Auch hier habe ich ein Problem mit der Fragestellung, die meiner Meinung nach – Achtung, ein Mörder-Wortspiel – auf den Holzweg führt. Man setzt voraus, dass gedruckte Zeitungen der Normalzustand sind. Ich frage mich: Ist das so?

Wenn ich mich heute am Flughafen oder im ICE umsehe, dann beobachte ich vor allem eines: Menschen, die auf Bildschirme starren. Sie spielen Angry Birds, schauen The Big Bang Theory, arbeiten an Power-Point-Präsentationen oder checken ihre Timeline bei Facebook. Eine völlig andere Welt als noch vor zehn Jahren. Ich frage daher noch einmal: Sind gedruckte Zeitungen im Jahr 2013 wirklich der Normalzustand?

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Neulich, in der Amazon-Zentrale

Das Publikum hat sich weiterentwickelt. Die Macher aber sind stehengeblieben. In einem Blogbeitrag hatte ich meine Leser jüngst dazu aufgerufen, zu beschreiben, was sie sich von einer modernen Zeitung wünschen. Das Ergebnis: Mehr Tiefe, mehr Analyse aber auch mehr Experimentierfreude. Statt mit den neuen Möglichkeiten im Netz zu spielen, servieren die Blattmacher dieselben uninspirierten Allerwelts-Geschichten jetzt eben auch auf dem iPad. Analoger Wein in digitalen Schläuchen.

Des Kaisers neue Kleider

Das Internet hat die Zeitungen nicht gekillt, vielmehr hat es den Lesern die Augen geöffnet, wie dürftig doch vieles von dem ist (ich betone vieles – nicht alles), was auf Medienforen vollmundig als Qualitätsjournalismus verklärt wird: Verlautbarungs-, Copy-and-Paste-Journalismus, umgeschriebenes PR-Material, als Information getarnte Mutmaßungen eines Redakteurs ohne jeden Quellenbeleg.

Das Netz schafft neue Vergleichsmöglichkeiten, versetzt den Leser in die Lage, Nachrichtenauswahl und Weltsicht der Profis zu hinterfragen. In vielen Fällen hat das Publikum heute Zugriff auf dieselben Informationen wie der Autor an seinem Redaktionsschreibtisch. Des Kaisers neue Kleider sind für die Rezipienten als solche erkennbar geworden. Kein Wunder, dass wir Journalisten Kritik an unserer Arbeit noch immer oft als Majestätsbeleidigung empfinden.

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Lesen à la carte

Zehn Jahre ist es her, seitdem ich mein SZ-Abo gekündigt habe. Informiere ich mich deshalb heute weniger? Im Gegenteil: Noch bevor ich aufstehe, scanne ich via Smartphone oder Tablet ausgewählte Blogs und Branchen-Nachrichten, ich überfliege die Web-Seiten des Guardian, der New York Times, von Spiegel Online und der Süddeutschen. Über Twitter- und Facebook-Empfehlungen lande ich oft auch auf Angeboten, nach denen ich gar nicht aktiv gesucht hatte; einen Kommentar in der taz zum Beispiel, einen Hintergrundbericht in der Zeit oder in der Frankfurter Allgemeinen.

Gerne würde ich für diese Texte bezahlen dürfen. Allein, man lässt mich nicht! Stattdessen werde ich via App oder demnächst wohl wieder via Paywall dazu genötigt, ein ganzes Bündel an Artikeln von oft fragwürdiger Qualität zu kaufen, die mich schon in der Print-Ausgabe nicht interessiert haben. Wie oft hätte ich mir schon in den letzten Jahren die SPIEGEL-Titelgeschichte runtergeladen – aber für 4 Euro? Man stelle sich ein Restaurant vor, das seinem Gast vorschreibt, was er zu essen hat. Sie haben Lust auf den kleinen Vorspeisenteller und müssen das komplette Menü bezahlen? …Und tschüss!

Kostenloskultur und andere Ausreden 

Musik, Apps, Fernsehserien; für digitale Medien gebe ich heute mehr Geld aus, als ich das jemals im Analogzeitalter getan habe. Die Mär von der bösen Kostenloskultur stammt von Managern, die ihren Job nicht gemacht haben und die Schuld dafür beim Kunden suchen. Hundertprozentige Konzentration auf den Kunden statt auf den Wettbewerber, so das Credo von Jeff Bezos. Wenn Qualität, Auswahl, Preis und Abrechnungsprozedur stimmen, sind die Menschen im Netz bereit, sogar für virtuelle Gaga-Güter – wie zum Beispiel Schlumpfbeeren – zu bezahlen.

Wir alle kennen das Gefühl, wenn man nach dem Essen die Rechnung verlangt, die Bedienung nur leider immer gerade etwas besseres zu tun hat. Die aktuellen Bezahlmöglichkeiten der Verlage sind eine Zumutung: Jeder Verlag hat sein eigenes Abrechnungssystem. Für jedes E-Paper muss man ein neues Konto anlegen. Mädchenname der Mutter? Das Passwort bitte mit Groß- und Kleinbuchstaben, einer Ziffer und mindestens einem Sonderzeichen! Und hier noch einige Captcha-Hieroglyphen, die jeden noch so zahlungswilligen Besucher in den Wahnsinn treiben.

Dieses Video ist 3 1/2 Jahre alt – ist aber aktuell wie nie: Was der Kunde will – Warum kein Micropayment?

Über all die Jahre des Jammerns und des Power-Lobbyings für das Leistungsschutzrecht haben es die Verlage schlicht und ergreifend versäumt, ihren Lesern eine frustfreie Bezahlmöglichkeit zu bieten. Was spricht gegen eine einheitliche Micropayment-Plattform für alle Häuser, vielleicht sogar gekoppelt an die monatliche Telefonrechnung? Wichtig: Eine Lösung für alle – nicht wieder jeder Verlag für sich. Man meldet sich ja auch nicht bei 20 verschiedene iTunes-Stores an, um im Netz seine Lieblingsmusik zu bekommen.

Was ist Journalismus wert?

Micropayment erfüllt eine andere wichtige, psychologische Rolle: Der Leser kennt den Wert für Journalismus nicht mehr. Mit ihrer Gratisstrategie haben die Verlagshäuser den Leser über Jahre hinweg suggeriert, Journalismus im Netz sei nichts wert. Um das zu ändern, muss der Leser behutsam, durch Kleinstbeträge, erlernen, welchen Gegenwert er durch das tägliche Querbeet-Lesen verkonsumiert.

30 Cents für einen Heribert Prantl auf Süddeutsche.de hier, 50 Cents für die Titelgeschichte des SPIEGEL dort – und das am besten auf Knopfdruck per 1-Click-Buy. Über Micropayment würde ich noch vor dem Frühstück spielend zwei bis drei Euro zusammenlesen, über den ganzen Tag verteilt vielleicht sogar das Doppelte. Wichtiger noch: ich kaufe nicht die Katze im Sack, sondern erfahre den unmittelbaren Gegenwert für mein Geld – instant gratification. Nach ein paar Jahren, wenn der Leser ein Gefühl für sein monatliches Medienbudget entwickelt hat, lohnt es sich, über Paywalls und All-You-Can-Read-Angebote nachzudenken. Nicht vorher.

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Win-Win-Win

Apropos Bezahlung. Im Vorfeld der Diskussionsreihe #tag2020, die gerade beim Spiegel geführt wird, wurde in Bloggerkreisen darüber geklagt, wie bezeichnend es doch für ein Haus wie den Spiegel Verlag sei, Gast-Autoren über die Zukunft der Zeitung schreiben zu lassen, ohne diese dafür angemessen zu entlohnen. Eine Diskussion, die mir in meiner Journalistenkarriere nicht zum ersten Mal begegnet.

Auch hier wäre Micropayment eine Überlegung wert: Autoren liefern ihre Werke gratis, Spiegel Online sorgt mit seiner Leserschaft für eine große Reichweite. Die Autoren werden an den direkten Erlösen für den Abruf ihres Textes beteiligt. Verlage werden zum Marktplatz, zum Kurator für hochwertige Texte. Davon profitieren auch die Leser, die talentierte Schreiber oder aufwendige Recherchen durch direkte Bezahlung belohnen können. Journalistisches Graubrot, also Themen, die wichtig sind aber weniger populär, werden aus den Gesamterlösen (also auch über Werbung etc.) querfinanziert, um für eine ausgewogene Themenvielfalt zu sorgen. Das war auch bei der gedruckten Zeitung nie anders.

Fazit

Keine Frage, angemessene Bezahlung für Journalismus im Netz ist eine wichtige Voraussetzung für dauerhafte Qualität. Meine ersten Gehversuche als selbständiger Blogger haben mich aber auch gelehrt, dass Profit nicht im Zentrum stehen sollte, wenn es darum geht, das Medien-Neuland zu erobern, zumindest nicht ganz am Anfang. Hätten Unternehmer wie Jobs, Bezos, Brin, Page oder Zuckerberg so gedacht, sähe die Welt heute anders aus. Das World Wide Web mag über 20 Jahre alt sein, doch wir befinden uns noch immer in den Gründerjahren dieses neuen Zeitalters. Für Blattmacher und Autoren gilt: Erst mit guten Angeboten kommt der Erfolg und irgendwann später dann auch das Geld. Selten umgekehrt.

tl;dr: Mehr Tiefgang, mehr Analyse – Zeitung muss mehr sein, als der Rückzug auf die einstige Gatekeeperfunktion. Zeitungsangebote im Netz sollten separat und durch ein einfach zu bedienendes, verlagsübergreifendes 1-Click-Buy-System bezahlbar sein. 

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8 Kommentare
  1. Uli schreibt:

    Ich bin immer wieder baff, wenn ich die gedruckte SZ in Händen halte und feststelle, dass nur 5-10% der Artikel überhaupt online vorzufinden sind. Und dabei handelt es sich meistens um dpa Allerweltsartikel die man überall anders fast wortgleich nachlesen kann („Merkels Sprecher hat verkündet…“).

    Wieso gibt es nach all den Jahren immer noch kein Finanzierungsmodell abgesehen vom klassischen Abo, jetzt halt auch als Ääpp und EPaper. Ich will aber nicht (mehr) das Komplettpaket SZ kaufen, sondern einzelne Schmankerl wie Heribert Prantl oder das feine SZ Magazin. Letzteres gibt es nur mit Abo oder nach 2-3 Tagen kostenfrei online für alle. Warum nicht für 30 Cent bereits am Erscheinungstag oder nur in Teilen kostenfrei?

    Die Verlage sind überhaupt nicht in der Lage irgendwie einen Mehrwert zu schaffen zwischen „ich lese online nur gratis Artikel“ und „ich zahle 50 € im Monat“. Anderswo geht es doch auch, wenn man sich Youtube Werbung etc. ansieht.

  2. f schreibt:

    Und ich will doch noch gedruckte Zeitungen und Zeitschriften! Ich lese gern! Bildschirmarbeit muss ich als „Arbeit“ den ganzen Tag machen, in der „Frei“-Zeit will ich keinen Bildschirm! Und mal ehrlich: Die ganzen Leute, die „aufs I-Pad starren“ – „spielen Angry Birds, schauen The Big Bang Theory, arbeiten an Power-Point-Präsentationen oder checken ihre Timeline bei Facebook“ – wo bleibt denn da die Bildung? Wo die Inspiration! Das ist doch vor allem Zeitverschwendung. Man sieht das an der Rechtschreibung in sämtlichen Internet-Foren, bei Facebook usw. Aber Rechtschreibung ist auch so ein Wert von gestern, glaube ich. Ich werd’s nicht aufhalten können. Ich werde immer nur sagen, dass es schon noch Menschen gibt – solche uralten Fossilien wie mich (49) , die gerne lesen, was Journalisten ihnen zusammengestellt haben. Solange es gut gemacht und nicht kaputtgespartes Zeug ist – darüber ärgere ich mich allerdings auch. Aber die Lösung ist doch nicht, nur noch „Angry Birds, The Big Bang Theory, Power-Point-Präsentationen oder Facebook“.Die Lösung ist: Wieder tollerer Journalismus! Das müssen gar nicht die super investigativen Aufdeckungsgeschichten sein! Das muss nur fehlerfrei, inspiriert, mit erkennbarer Freude am Schreiben gemacht sein!

    • Carsten schreibt:

      Ein Gedankenexperiment für Visionäre wie Jeff Bezos: Gerade gestern überraschte mich ein von vielen noch unbemerkter Hinweis über die höchst-US-richterliche Aufwertung der Internet-Währung Bitcoin als offizielle Währung (http://ow.ly/nMf2S). Wird damit einem weltweit gültigen, anerkannten und funktionierenden Micropayment endlich der Weg geebnet? Bietet es sich da nicht geradezu an, unter Zuhilfenahme von bewährten Internettechnologien und einer gestandenen Verlagsbelegschaft (hier: Washington Post) an einem weltweit zugänglichen (24/7)und mehrsprachigen Journalismus-Portal (Text, Bild, Ton, Video) nach der Idee eines iTunes-Stores zu experimentieren, das dem Interessentenkreis (hier: dem Zeitungsleser) in Zukunft ermöglicht, per OneClick/OneTouch auf den entsprechenden Lesegeräten im Milli-Cent/Mikro-Cent-Bereich die gewünschten journalistischen Beiträge einzukaufen? Weiterzuentwickelnde und massentaugliche Technik (vom iPad/Tablet-PC zu preiswerten, flexiblen, papierähnlichen Folien) sorgt letztendlich für eine gelungene Transformation. It looks that way!

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