Eric Jarosinski ist Twitter-Gelehrter, Poet und Philosoph. Der US-Professor aus Wisconsin hat der akademischen Welt den Rücken gekehrt, um sein Glück im Netz zu finden. Ein Gespräch mit NeinQuarterly über Deutschland, das „Ü“ und das Uber-Leben.

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Ein Twitter-Märchen

Die Blaue Gans in Lower Manhattan. Eric Jarosinski bestellt sich einen Riesling und grinst. Er grinst sehr viel an diesem Dezember-Nachmittag, selbst dann, wenn wir über das Ende seiner akademischen Karriere sprechen. Fast 7 Jahre schon unterrichtet er Literatur und Kritische Theorie am German Department der University of Pennsylvania, einer Ivy-League-Universität.

Vor 2 Jahren hat Jarosinski zu twittern begonnen und sich Tweet für Tweet eine beachtliche Fangemeinde erarbeitet. Mit seinen klugen, geschliffenen Aphorismen und Späßen begeistert er gleichermaßen Amerikaner wie Deutsche. 46.000 Nutzer haben ihn bei Twitter abonniert und stündlich werden es mehr.

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Chefredakteure und Verleger beginnen damit, sich für seine Arbeit zu interessieren. Auf diesen Erfolg angesprochen, gibt sich Jarosinski geschmeichelt. „Ich lasse das alles auf mich zukommen“ sagt er in fast akzentfreiem deutsch, garniert mit einer Prise Understatement. Er gefällt sich in seiner neuen Rolle als gescheiter(ter) Akademiker. 

Im Januar soll sein Blog starten, mit dem er künftig Geld verdienen will.

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Ein Amerikaner, der auf deutsch twittert – wieso gerade deutsch?

Der Deutsch-Bezug war eher Zufall. Ich bin in einem kleinen Dorf in Wisconsin aufgewachsen. Da gab es eher so diese Kitsch-Vorstellung von Deutschland, die man auch bei uns im Dorf zelebrierte. Volksfeste, Polka-Musik, einfach dieses furchtbare Deutschland-Bild, das vor allem auch von Bayern geprägt ist. Das hat mich eher abgeschreckt. Der eigentliche Grund für meine besondere Beziehung zu Deutschland aber war meine erste große Liebe. Meine Freundin hatte damals ein Jahr in Kassel verbracht und als sie zurückkam hat sie mir von der großen, weiten Welt erzählt.

Der großen weiten Welt… Kassel?

Ja, durchaus! Du darfst nicht vergessen ich stamme aus einem Dorf mit 2500 Einwohnern! Das war schon etwas besonderes und hat mein Deutschland-Bild sehr geprägt.

Und wie hast Du so gut deutsch gelernt?nein6

Ich habe meine Freundin oft besucht und später dann auch unter anderem in Bonn studiert.

Hat man dir dort auch beigebracht, wie man das „Ü“ ausspricht?

Das „Ü“ habe ich auf die harte Tour gelernt. Das war bei Plus an der Kasse. In Amerika bekommst Du beim Einkaufen ja immer automatisch eine Tüte. In Deutschland muss man danach extra fragen. Also habe ich nach einer Tüte gefragt. Leider konnte ich damals noch kein richtiges „Ü“. Die Kassiererin schaute mich komisch an und rief dann laut rüber zu ihrer Kollegin: Der junge Mann hier hätte gerne eine „Tote“!

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Wie hast du uns Deutsche damals empfunden?

Ich glaube es ist sehr anstrengend, Deutscher zu sein. Wenn man aus Amerika nach Deutschland kommt, fragt man sich, wie es sein kann, dass hier so gut wie nirgendwo Deutschland-Fahnen hängen. Man hat das Gefühl, die Deutschen gehen ganz anders, sehr viel kritischer mit sich und ihrem eigenen Land um. Das hat natürlich historische Gründe, klar. Aber ich fand das als Kontrastprogramm überaus wohltuend gegenüber Amerika, wo man ja nie aufhört zu betonen, das großartigste Land der Welt zu sein.

Glaubst du dass diese Hass-Liebe zu uns Deutschen, diese innere Zerrissenheit, die Du ja in Deinen Tweets ausdrückst, der Grund ist für Deinen Erfolg bei Twitter?

Kann sein, wobei das mit dem Erfolg so eine Sache ist. Oft wird meine Ironie überhaupt nicht verstanden. Anfangs hatte ich das Bedürfnis, mich zu erklären oder gar zu rechtfertigen. Inzwischen habe ich gelernt, damit zu leben – und umgekehrt meine Follower mit mir wohl auch.

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Du twitterst noch keine 2 Jahre. War dieser Stil, den du prägst, eine bewusste Entscheidung, oder hat sich das einfach so ergeben?

Das hat sich so ergeben. Das sind nun mal meine Themen. Meine akademischen Interessen sind darin präsent, meine politischen Interessen. Meine Biografie, aber auch der Alltag, das spielt da alle irgendwie mit rein. Im Grunde genommen ist das ja auch eine Geschichte, die durch diese ‚Persona‘ erzählt wird. Das Witzige in meinen Tweets hat ja auch immer eine gewisse Schattenseite, was oft gar nicht witzig gemeint ist.

Psychologische Abgründe in 140 Zeichen?

Ja, aber das ist quasi mein Umgang mit dem Leben. Was ich mit Twitter gemacht habe im letzten Jahr, waren ja auch Live-Tweets vom Ende meiner akademischen Karriere. Ich habe irgendwann verkündet, dass ich meine Forschungsarbeit nicht zu Ende führen werde sondern lieber weiter Witze im Internet mache.

Twitter hat dich verdorben und vom rechten Weg abgebracht?

Twitter war eine völlig neue Erfahrung für mich. Ich hatte das Gefühl, dass meine Welt dadurch irgendwie größer wird und nicht kleiner. Ich kam in Kontakt zu Leuten, die ich sonst vermutlich niemals kennengelernt hätte. Ich bin sogar meinen eigenen Kollegen über Twitter ganz anders begegnet, Leute, mit denen ich oft schon im selben Raum stand. Aber in diesem akademischen Tagungskontext hatte ich denen irgendwie nichts zu erzählen. Ich war da eher dieser nervöse, etwas angstgeplagte Typ, der sich lieber versteckt. Über Twitter und über die Performance dieser ‚Persona‘ habe ich einen ganz andern Zugang gefunden.

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Könntest du dir noch ein Leben ohne diese neue Welt vorstellen?

Ich habe mehrmals versucht wegzukommen von meinen blöden Witzen und endlich mein Scheiss-Buch fertig zu schreiben. Am Ende war Twitter stärker.

Kann es sein, dass diese ‚Persona‘ schon immer du warst und dein akademisches ‚Ich‘ nur dein Avatar?

Ja. Inzwischen bin ich sogar davon überzeugt! Irgendwann musste ich mich ja dieser Frage einfach mal stellen. Wenn ich heute Menschen begegne, kann ich meinen Prof-Avatar inzwischen zuhause lassen, eine Rolle, die ich nie wirklich gerne gespielt habe. Ich hatte immer das Gefühl, ich war dieser Rolle nicht gewachsen. Bei Twitter ist das anders. Da mache ich das, was ich kann, und wenn jemand das gut findet, ist das super und wenn nicht, naja, dann ist das eben so. In jedem Fall bin ich authentischer.

Viele Menschen halten Twitter für eine reine Zeitverschwendung. Kannst Du das nachvollziehen?

Überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil. Ich war ja früher in meiner akademischen Welt nicht unbedingt produktiver. Auch damals hatte ich ja schon mit mir diese Selbstgespräche geführt, nur waren diese zum Teil sogar zerstörerischer. Mit Twitter habe ich das Gefühl, etwas zu gestalten. Diese Tweets sind ja auch eine Form von Handwerk. In der Rolle dieses gescheiterten Intellektuellen fühle ich mich eigentlich sehr wohl.

Und davon kann man leben?

Das wird sich zeigen. Ich habe das Gefühl, einen gewissen Beitrag zu leisten. Ich weiß noch nicht genau wozu, aber ich habe schon den Eindruck ich mache da etwas, was den Menschen gefällt.

nein personaDie Erfindung dieser ‚Persona‘, deines Twitter-Avatars, kam das eher zufällig oder geschah das bewusst?

Das geschah ziemlich bewusst. Ich wollte eine Art Adorno-Figur entwickeln, dieses Elitäre dabei aber stark überzeichnen. Deshalb auch dieser Monokel. Eine kritische Stimme, die etwas zu sagen hat, die etwas intelligentes sagen will, die aber manchmal auch dumm ist weil sie so blind intelligent ist. Ich wollte damit auch die Kritische Theorie, die ja viele Menschen anfangs abschreckt, zugänglicher machen. Warum nicht auch mal etwas respektloser mit diesen ganzen Typen umgehen?

Die Stars der Frankfurter Schule von ihrem Sockel reißen?

Warum nicht! Manche von ihnen würden das vielleicht sogar begrüßen. Im Übrigen klebt diese ‚Persona‘ ja nicht allein an der Kritischen Theorie. Zum Teil ist das ja auch eine sehr nihilistische Kritische Theorie. Worauf es mir am Ende ankommt ist, dass man eine solche kritische Figur sehr einladend macht, um den Menschen klar zu machen: Diese Perspektiven, diese ganze Lehre ist für dich da und nicht umgekehrt. Durch diese reduzierte Sprache bei Twitter lässt sich oft viel mehr ausdrücken und zugleich auch ein viel größeres Publikum erreichen, als mit langen Texten, die ja sonst nur wieder  die üblichen Verdächtigen studieren würden.

Twitter befreit uns von alten Zwängen?

In meinem Fall ist das so. Aber Twitter kann auch sehr unglücklich machen. Man kann sich dort auch sehr einsam fühlen, wenn man so vor sich hin schreibt und das Gefühl hat, alles was man da schreibt, verliert sich irgendwo im Nirvana. Jeder, der mit Twitter mal angefangen hat, kennt diese Momente. Und dann führt die Anonymität im Netz natürlich auch oft zu bösen Bemerkungen. Da brauchst du ein dickes Fell. Ich entwickle das so langsam, aber leider dauert das eine Weile. Wenn böse Kommentare kommen, trifft mich das leider sehr. Viele denken ja, dass sich hinter meinem Account eine ganze Redaktion verbirgt, die wissen gar nicht, dass da nur ein einzelner Typ gerade im Bus sitzt und was in sein Smartphone tippt.

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Wann entstehen deine besten Tweets?

Die Tweets, die ich selber gut finde, entstehen meist in einer Kette von anderen Tweets. Ich habe auch schon mal versucht, Tweets auf Halde vorzuproduzieren und automatisiert zu senden. Das funktioniert irgendwie nicht. Mir ist es wichtig, dass meine Tweets live entstehen und dann im Kontext in diesem Raum schweben. Manche Tweets lösche ich auch wieder, weil sie irgendwie nicht stimmig sind. Als Follower von mir muss man Geduld haben, weil die Menge meiner Tweets oft viel zu viel ist. Viele davon sind auch nicht gut, das sind oft auch nur Experimente. Was ich weiß, dass diejenigen meiner Follower, die bleiben, irgendetwas in meinen Tweets für sich finden. Sonst würden sie sich nicht so quälen lassen mit den Tausenden Tweets am Tag, die ich so raushaue. Gerade meine deutschen Follower neigen oft dazu, Twitter sehr gründlich zu studieren. Man hat das Gefühl wenn die morgens aufstehen, lesen sie ihre ganze Timeline durch bis zu dem Moment, wo sie zu Bett gegangen sind. Die tun mir leid, weil da dann so viel Scheiss von diesem NeinQuaterly ertragen müssen.

Woher kommt der Name?nein7

Ich wollte etwas machen mit Verneinung. Vor allem weil das diesen kritischen Gestus der Kritischen Theorie, allen voran natürlich Hegel, zum Ausdruck bringt. Mit ‚quarterly‘ war ja auch schon immer die Hoffnung verbunden, dass irgendwann mal ein Blog daraus wird. Vor allem gefiel mir ‚quarterly‘ aber deshalb, weil ich das witzig finde, eine solch veraltete Form des Publizierens mit unserer heutigen Welt zu kombinieren. Deutsch-Englisch, radikal ablehnend, aber eben mit einer Anlehnung an Fachzeitschriften, an Forschung an das akademische Leben, das wollte ich damit alles irgendwie zusammen bringen.

Wie konnte es eigentlich passieren, dass Deutsch in den USA auf einmal hip wurde? 

Das würde ich gerne erklären können. Da sind die Assoziationen vor allem mit Intelligenz, allerdings Intelligenz mit Abstand. Dann ist da diese deutsche Identität, die man so leicht parodieren kann. Wenn du als Amerikaner sagst: „Well, it’s German“ dann hat das gleich diese Bedeutung von… wie soll ich sagen…

…intellektueller Verkrampftheit?

Vielleicht auch, ja. Auf alle Fälle, es ist etwas intelligentes. Damit spiele ich ja auch gerne in meinen Tweets: Einerseits, indem ich diese Intelligenz der Deutschen zwar anerkenne, andererseits, wenn ich versuche, mich sogar noch einen Tick intelligenter zu machen, indem ich das auch ironisiere, weil ich die Assoziationen natürlich kenne, die Amerikaner mit diesem ‚German‘-Sein nun mal haben. Es gab in den 80er Jahren mal bei Saturday Night Live eine Kunstfigur von Mike Meyers, die nannte sich ‚Sprockets‘. Meyers trägt einen schwarzen Rollkragenpullover, Nickelbrille, alles sehr streng und steif. Er hatte immer ein kleines Äffchen an seiner Seite, um irgendwann im Verlauf des Sketches seinen Gesprächsgast mit ernstem Gesichtsausdruck zu fragen „Would you like to pet my monkey?“.

Man musste einfach über ihn lachen, weil er vor allem seine Avantgarde-Perspektive so ernst genommen hat. Ich glaube, das ist es, was diesen amerikanischen Hipster-Appeal für das Deutsche am besten erklärt. Ein Hipster sollte ja nicht dumm sein. Dieser Aspekt geht viel weiter zurück als das, was man aktuell vielleicht gerade wieder mit Berlin und den dortigen Hipstern verbindet. Das Deutsche steht für eine gewisse Moderne, mit allen Vorteilen aber eben auch negativen Aspekten. Eine gewisse Form von Post-Moderne oder vielleicht sogar auch schon Post-Post-Moderne.

nein5Dein Lieblingsumlaut?

Soll ich das verraten? Okay, das ist eigentlich das „Ä“.

Das „Ä“? Im Ernst? Nicht das „Ü“?

Ja, das „Ü“ habe ich oft in meinen Tweets thematisiert. Ich finde aber das „Ä“ in der täglichen Sprache eigentlich sympathischer, sehr offen: Universi-tääät.

Weil man als Nicht-Deutscher mit dem „Ä“ am wenigsten Probleme hat?

Jein. Am „Ä“ erkennt man so ziemlich am besten, ob jemand wirklich in Deutschland gelebt hat. Denn als Anfänger habe auch ich es mir leicht gemacht und es jahrelang wie ein „E“ ausgesprochen: Universi-teeeet. Oder „Ä“ wie in „cake“.

Damit kommt man durch.

Ja, klar. Sowas führt dann oft aber auch zu Missverständnissen. So dachte ich zum Beispiel jahrelang „ganz gut“ im Deutschen bedeutet „sehr gut“. Wenn man zum Beispiel gefragt wird: Wie hat es geschmeckt, und du dann sagst: „Ganz gut“. Das kommt dann oft nicht besonders gut an bei deinem Gastgeber.

Wie geht’s weiter?

Jetzt verbringe ich erst einmal mein letztes Semester an der Uni. Das fällt mir gar nicht so leicht, wenn man zwar noch da ist, aber irgendwie auch nicht mehr. Ein etwas gespenstisches Dasein. Dann geht es weiter mit dem Blog, das startet im Januar. Inzwischen habe ich mein Team von Gastautoren zusammen, die meisten haben inzwischen auch schon ihre ersten Texte geschickt. Dazu wird es dann auch eine App geben, sofern Apple die noch rechtzeitig genehmigt. Es gab auch schon Anfragen von Verlagen. Aber das lasse ich alles auf mich zukommen. Ich finde, dass „mal langsam!“ gar kein schlechtes Motto ist. Man muss aufpassen, dass es nicht zu sehr zu einem Job wird. Weil wenn es eines Tages nicht mehr Spaß macht, will ich es auch nicht mehr machen.

NeinQuarterly: German words are not too long. Life is too short. (Dank an @sixtus für das Video)

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10 Kommentare
  1. ich getz schreibt:

    Feines Interview.
    Nur das Barbara-Video… auf den RhababerbarbarabarbaRbaren-Folien fehlt ein r. Just saying.

  2. […] Nein­Quart­erly – gescheit geschei­tert | G! gut­jahrs blog – Er ist ein Phä­no­men und will jetzt noch mit dem Blog­gen Geld ver­die­nen: @NeinQuarterly, einer der tief­sin­ni­ge­ren erhei­tern­den Twitterer. […]

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