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Es ist soweit, die Krautreporter sind gestartet. In meinem ersten Text schreibe ich über ein Thema, das mich schon lange beschäftigt. Der ausufernde Einfluss von PR-Abteilungen auf uns Journalisten. Kein Unternehmen hat das derart auf die Spitze getrieben wie Apple. 

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Steve Jobs war ein Mann mit vielen Talenten. Eine seiner größten Gaben war es, Menschen Dinge glauben zu lassen, die objektiv betrachtet nicht immer ganz der Wahrheit entsprachen. Dieses Job’sche „Reality Distortion Field“ war berüchtigt. Benannt wurde es nach einer Raumschiff-Enterprise-Doppelfolge, in der es Spock und Captain Kirk mit Talosianern zu tun bekommen, intergalaktische Lebewesen, die über telepathische Fähigkeiten verfügen und falsche Realitäten vortäuschen können.

Auch drei Jahre nach dem Tod des charismatischen Firmengründers ist Apple bemüht, dieses Reality Distortion Field aufrecht zu erhalten. Dazu gehört die totale Kontrolle über alles, was über das Unternehmen und seine Produkte berichtet wird. Eine Strategie, die sich im Gegensatz zu Apples Designphilosophie weniger durch Klarheit und Eleganz auszeichnet, sondern durch ein subtiles und bisweilen zynisches Spiel mit der Eitelkeit und den Abhängigkeiten von uns Journalisten. Wer positiv schreibt, wird hofiert, wer Kritik äußert, egal wie berechtigt, wird abgestraft. Oder anders: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.

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Während sich Tim Cook erfolgreich aus dem Schatten seines genialen, oft aber auch als cholerisch verschrienen Übervaters befreit hat, regiert in der Presse- und Marketingabteilung des Unternehmens noch immer ein Geist aus Angst und Kontrollwahn. Ein Geist, der aus einer Ära stammt, in der Apple kurz vor dem Bankrott stand und in der jede Form von Indiskretion oder Illoyalität gravierende Konsequenzen hätte nach sich ziehen können, für den Betroffenen, wie auch für das Unternehmen selbst. Dass Apple den Turnaround schaffen, bald sogar zu einem der wirtschaftlich mächtigsten Konzerne der Welt aufsteigen würde, hätte damals kaum jemand für möglich gehalten, schon gar nicht nach dem New Economy Crash. Die Medien hatten das Unternehmen abgeschrieben, Apple-Pressetermine wurden von den Redaktionen oft gar nicht mehr besetzt.

Wer mich und mein Blog kennt, weiß, dass ich nicht unbedingt zu den Apple-Kritikern gehöre. Der Umstand, dass ich mich vor Jahren selbst einmal in eine Schlange eingereiht habe, um vom Verkaufsstart des iPads in den USA zu bloggen, brachte mir den Stempel „Fanboy“ ein. Ein Label, das nicht völlig daneben ist. In der Tat bin ich der Meinung, dass Apple die (Tech-) Welt durch die Benutzerfreundlichkeit und das Design seiner Produkte extrem bereichert hat.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass ich inzwischen auch die andere Seite des Konzerns kenne. Eine Seite, über die wir Journalisten bewusst zurückhalten, was an sich schon äußerst denkwürdig ist. Für diesen Artikel habe ich mit unzähligen Kollegen gesprochen, um ihre Erlebnisse mit meinen eigenen abzugleichen. Alle meine Gesprächspartner haben dabei größten Wert darauf gelegt, nicht namentlich erwähnt zu werden, um bei Apple nicht in Ungnade zu fallen. In Ungnade zu fallen, weil man die Wahrheit über ein Unternehmen berichtet? Ein gruseliger Reflex für einen Journalisten. Ein Grund mehr, die Umstände, unter denen Besprechungen über neue iPhones, iPads und Macs in der deutschen Medienlandschaft zustande kommen, einmal ausführlicher zu beleuchten.

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Die Auserwählten

Eine Apple-Produkteinführung verläuft immer nach demselben Schema: In mehreren Schritten wird dabei sichergestellt, dass die Medien ausschließlich so über Apple-Produkte berichten, wie es das Unternehmen aus Cupertino wünscht. Das beginnt schon mit der Auswahl der „richtigen“ Journalisten.

Für Apple-Events kann man sich nicht anmelden. Man wird auserwählt. Einladungen erfolgen in der Regel nicht an eine Redaktion, sondern gehen gezielt an den Reporter persönlich. Auch wenn es angeblich keine Vorgaben aus Cupertino gibt, darf man davon ausgehen, dass bei dieser Selektion sehr genau darauf geachtet wird, dass der Betroffene gegenüber Apple grundsätzlich positiv eingestellt ist und den Wert einer solchen Einladung auch zu schätzen weiß.

Für viele Journalisten ist eine Apple-Einladung wie ein Ritterschlag. Gerade wir Männer dekorieren den Arbeitsplatz gerne mit unseren Akkreditierungskarten. Wie Tapferkeitsabzeichen baumeln sie hinter unseren Schreibtischen, um den lieben Kollegen zu signalisieren: Seht her, wo ich schon überall dabei war! Je größer und exklusiver die Sammlung, umso höher steht man in der internen Redaktions-Hackordnung. Der Akkreditierungsausweis am Bande – eine Art journalistischer Schwanzvergleich.

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Apple weiß um die Bedeutung dieser Einladungen – und setzt sie gezielt als Druckmittel ein. Als „Computerbild“ vor einigen Wochen ein iPhone-kritisches Video ins Netz stellte, folgte prompt ein erboster Anruf aus Apples PR-Abteilung. Die Redaktion werde nie wieder ein Testgerät erhalten und künftig auch nicht mehr zu Apple-Events eingeladen. Ausbrüche wie diese sind für das Unternehmen eher ungewöhnlich und in vielen Fällen auch unnötig. Die Manipulation erfolgt oft schon in der Chefredaktion, die sicherstellt, dass nicht ein überambitionierter Mitarbeiter mit seinem ehrlichen aber geschäftsschädigenden Text das gute Verhältnis zu Apple in Gefahr bringt. Wer allzu kritisch schreibt, riskiert die Exkommunikation. Der Zutritt ins Apfelparadies verwirkt. Sorry, heute leider kein Foto für Dich. (…weiter)

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17 Kommentare
  1. […] Ri­chard Gut­jahr ver­öf­fent­licht heute bei den Kraut­re­por­tern ei­nen kri­ti­schen Be­richt über Apple: „Wie Apple die Me­dien ver­biegt – und wa­rum alle mit­spie­len.“ Da­bei äu­ßert er in Tei­len viel­leicht so­gar be­rech­tigte Kri­tik an Apple – lässt je­doch ei­nen As­pekt da­bei völ­lig au­ßer Acht: Die ebenso be­rech­tigte Kri­tik an vie­len Journalisten. […]

  2. Kai Steph schreibt:

    Hallo,

    ich fänd es nett, wenn Sie auch noch eine ähnliche Beschreibung einer Produktpräsentation einer anderen Firma „entgegenstellen“ könnten. Wie läuft es ab, wenn Firma xy (hier bekannte Firma ihrer Wahl) eine Präsentation durchführt. Ich suche nicht nach dem genauen Gegenteil. Eher nach dem Durchschnitt. Wie läuft es normal und wie sollte es laufen? Nein, ich vermisse diese Info nicht in diesem Artikel. Trotzdem fänd ich eine Normierung der Skala interessant.

    Mit freundlichem Gruß
    Kai Steph

    • Richard schreibt:

      Danke für die Anregung. Ich habe mich bewusst für den Fokus auf Apple entschieden, weil Apple nun einmal sehr extrem vorgeht, was die Selektion der Berichterstatter betrifft. Die Gefahr, sich bei diesem Thema zu verzetteln, ist groß. Deshalb wollte ich mich lieber auf dieses eine Beispiel konzentrieren.

      • Alex schreibt:

        Ich wollte einen ähnlichen Kommentar schreiben. Bei einem Besuch bei Microsoft in Unterschleißheim wird auch Marketing bei den eigenen Mitarbeitern, zumindest aber jedenfalls bei den Besuchern groß geschrieben. Überlebensgroße Poster vom damaligen Chef Balmer mit mehr oder weniger intelligenten Sprüchen. Dazu an jeder Ecke eine X-Box … das hinterlässt Eindruck, in mehrerlei Hinsicht. Würde mich interessieren wie dort die Presse versucht wird zu gewinnen. Dennoch: Die Windwos-Abstürze bei Live Präsentationen haben es oft in die Medien geschafft, da wurde weniger(?) beschönigt. Aber es ist richtig Schwerpunkte zu setzen.

        Vielen Dank für diesen spannenden und aufschlußreichen Artikel.

Willkommen!