In einem offenen Brief hat sich der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger an die Öffentlichkeit gewandt. Unter der Überschrift „Wehren wir uns“ versucht BDZV-Präsident Helmut Heinen einen Zusammenhang zwischen den Morden in Paris mit der deutschen Pegida-Bewegung zu konstruieren. Ein Schuss, der nach hinten losgehen dürfte und der offenlegt, wie weit sich die Medien-Elite von ihren Lesern entfernt hat.

 

bdzv

 

Den Aufruf der Zeitungsverleger nebst Karikatur von Klaus Stuttman möchte ich inhaltlich hier nicht weiter diskutieren. Das können Andere besser. Spannender finde ich die Debatte, die unterhalb des Textes entbrannt ist. Seit Veröffentlichung des Aufrufs bei FAZ.net werden dort schubweise immer wieder neue Kommentare freigeschaltet. Kommentare, die, wie zu erwarten war, nicht immer schmeichelhaft für die FAZ ausfallen.

„Perfide“, „heuchlerisch“, „anmaßend“ sind Begriffe, die immer wieder auftauchen. Die überwiegende Mehrheit der Leser beklagt sich über einen unzulässigen Vergleich der Mörder von Paris mit Pegida-Demonstranten in Deutschland und den plumpen Versuch der Zeitungsverleger, Kapital aus den Morden zu schlagen.

 

Alles Pegida oder was?

Nun möchte man argumentieren, dass es sich bei den Kommentatoren überwiegend um aufgehetzte Pegida-Anhänger handelt, die noch nie zuvor eine Zeitung in Händen gehalten haben, schon gar nicht eine Qualitätszeitung wie die FAZ*.

Sieht man sich die Kommentarschreiber und deren Historie mal genauer an, muss man feststellen, dass die meisten Kommentatoren offenbar langjährige FAZ-Leser sind, darunter offenbar auch Abonennten der Print-Ausgabe (dahinter steckt immer ein kluger Kopf!).

Fast schon amüsant die Auswahl der sogenannten „Top-Argumente“ durch die FAZ-Redaktion. Bei Top-Argumenten handelt es sich um Leser-Kommentare, die gemäß eigener Definition „exemplarisch verschiedene Standpunkte einer Debatte aufzeigen, die uns in der Fülle der Kommentare besonders konstruktiv und prägnant aufgefallen sind“.

 

topkommentar
Alle 10 „Top-Argumente“ unterstützen die FAZ-Meinung

Top-Argumente

Unter diesen zehn von der FAZ hervorgehobenen Top-Argumenten findet sich, man ahnt es, nicht ein Argument, das dem Text des Zeitungspräsidenten widerspricht (Stand: Samstag Mittag, 12 Uhr).

Mit grünem Fleißpunkt versehen werden ausschließlich Beiträge, die Jubel-Überschriften wie „Volltreffer“ oder „Danke, Herr Heinen“ tragen. In zwei Fällen werden sogar Repliken ausgezeichnet, die einen anderen Leser zurechtweisen, weil dieser eine andere Meinung vertritt als die der Redaktion.

Was ich so bemerkenswert an dieser Diskussion finde: Sie offenbart – so deutlich wie selten – den Graben, der durch die Gesellschaft geht. Wie beim Färbetest von Blendax-Antibelag wird hier auf einmal sichtbar, wie sehr sich die Medien-Elite von ihren eigenen Lesern entfremdet hat – und dazu zählen ausdrücklich auch die Pegida-Kritiker.

 

Die Sache mit dem Rückkanal

Das Internet mit seinem Rückkanal verändert die Spielregeln im Kampf um die Deutungshoheit. Lesermeinungen lassen sich nicht mehr so leicht kanalisieren, wie das früher auf räumlich begrenzten Leserbriefseiten möglich war. Jeder Versuch, Meinung zu steuern, oder auch nur zu beeinflussen, fliegt früher oder später auf.

Foren-Moderation ist einer der anstrengendsten und undankbarsten Aufgaben im Medienbetrieb überhaupt. Man bezieht Prügel von allen Seiten, von links, von rechts, nicht selten sogar vom eigenen Haus. Dennoch müssen Autoren, Redakteure, ja sogar Verlegerpräsidenten lernen, mit diesem Rückkanal professionell, ohne Schaum vor dem Mund, umzugehen. Für besonders drastische Wortbeiträge gibt es immer noch das Strafgesetzbuch.

Dummen und inakzeptablen Bezeichnungen wie „Lügenpresse“ begegnet man am besten mit sachlichen und ausgewogenen Argumenten, nicht mit Diffamierungen. Fordern wir nicht genau das von unseren Lesern? Gelten für uns Medienmacher andere Netiquette?

Wenn ich die Kommentare der FAZ-Leser studiere und ernst nehme, haben die Zeitungsverleger mit diesem Aufruf ihrer Sache einen Bärendienst erwiesen.

 

*Offenlegung: Auch ich schreibe gelegentlich für die FAZ

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44 Kommentare
  1. reraiseace schreibt:

    Danke! Es wundert mich aber schon etwas, dass die FAZ noch so viele der negativen Stimmen zugelassen hat. Aber sonst wäre wohl noch der Vorwurf von „Zensur“ aufgekommen (Ironie). Man kann nur hoffen, dass ihnen bewusst wird, was sie mit dieser Aktion erreichen. In meinen Augen nicht nur ein Schuss in den Ofen, sondern im höchsten Maße verachtenswürdig. Das Attentat auf Charlie Hebdo sollte weder mit PEGIDA oder anderen Medienvertretern gleichgesetzt werdenm noch solltr es überhaupt instrumentiert werden.

    • Richard schreibt:

      Dann wundern wir uns gemeinsam. Dass Vergleiche zwischen den Paris-Mördern, Pegida-Demonstranten und Nationalsozialismus problematisch sind, hätte dem Verfasser und Mit-Unterzeichnern klar sein müssen. Verleger wissen doch mit am besten, was man mit Worten anrichten kann.

      • reraiseace schreibt:

        Sehr richtig. Ja, sie sollten wissen, welche Wirkung ein Wort haben kann.

  2. Heike Gallery schreibt:

    Danke dir für den Artikel, und dass du die Kommentardiskussion in den Vordergrund stellst! Ich gebe dir absolut Recht, dass sie den durch die Gesellschaft gehenden Graben offenbart. Jedoch zeigt sich an diesem Beispiel auch der mittlerweile ebenfalls extrem große Graben zwischen Redaktionen und Usermeinungen.

    Für viele Redaktionen stellen Usermeinungen eher ein ungewolltes Übel dar, welches schrittweise zurückgedrängt wird. Die Kommentarfunktion wird zusehends abgeschaltet, „alternativ“ können User dann über redaktionell ausgewählte Themen diskutieren.

    Ja, Forenmoderation ist definitiv anstrengend und letzten Endes kann man es meist keinem Recht machen. Ich bin u.a. seit Jahren für das Community Management auf der gutefrage.net verantwortlich und daher täglich mit Usermeinungen konfrontiert. Entscheidend ist für mich, dass eine Forenmoderation nie inhaltlich ausgerichtet sein darf! Vorausgesetzt natürlich, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen und die Netiquette eingehalten werden.

    Ja, der Ton im Netz ist mitunter rau. Es ist jedoch falsch, dies als Ausrede zu nutzen, um Meinungen der User nicht zuzulassen.

    Wir benötigen eine neue Diskussions- und Debattenkultur im Netz, in der die User nicht von vorneherein unter dem Generalverdacht stehen, Trolle oder pöbelnde Unwissende zu sein. Durch den Rückkanal im Internet sind Redaktionen nun einmal unmittelbar mit einer enormen Vielzahl an Meinungen konfrontiert. Diese gilt es zuzulassen und konstruktiv mit ihnen umzugehen. Bevor Redaktionen ihre Kommentarfunktion abschalten, sollten sie lieber Strukturen aufsetzen, die eine mitunter auch heftige Diskussion mit unterschiedlichen Meinungen ermöglicht. Genau darin steckt die Chance auf echten und authentischen Austausch und auf eine neue Art der Meinungsbildung.

    Liebe Redaktionen, lasst uns diese Chance nutzen. Nehmt die Meinungen der User ernst, diskutiert mit ihnen. Tretet in den Dialog und zieht euch nach Veröffentlichung des Artikels nicht zurück.

    Ja, dies verursacht Kosten, die sich im Sinne einer freien Meinungsbildung aber mehr als auszahlen werden.

    • Richard schreibt:

      Danke für diesen großartigen Beitrag. Ich kann Dir in jedem Punkt zustimmen, vor allem, dass es sich auszahlt, dem Rückkanal mehr Aufmerksamkeit (Personal, Kosten!) zu widmen. Was der Journalismus noch lernen muss, denke ich, ist dass Foren-Moderation durchaus gleichzusetzen ist mit der Arbeit eines Investigativ-Reporters oder Leitartikelschreibers. Das ist harte Arbeit, Arbeit, die niemand machen möchte, aber die sich langfristig auszahlt. Genau dadurch entzieht man Vorwürfen wie „Lügenpresse“ den Sauerstoff. Was nicht geht, ist seine Leser in die Pegida-Ecke zu drängen und/oder zu beschimpfen.

      • Heike Gallery schreibt:

        Genau das ist es: Forenmoderation macht man nicht einfach nebenher und ist erst recht kein Selbstläufer. Es wird Zeit, dass dies erkannt wird und by the way: Es gibt sehr viele, die diesen Job gerne machen – aber nicht, wenn er bspw. auf Praktikantenniveau bezahlt wird.

      • Wolfgang Weber schreibt:

        „Was nicht geht, ist seine Leser in die Pegida-Ecke zu drängen und/oder zu beschimpfen.“

        Ich geh‘ da noch weiter, Richard. 20 000 Leute, die ihren Unmut kundtun als NAZIs abzustempeln, wie das unsere Regentin Frau Merkel und der großteil der polarisierenden Presse macht, ist schlicht und ergreifend nicht intelligent. Im Gegenteil: solche Unverschämtheiten machen den Graben noch größer.

        Der Feedbackkanal ist einerseits sehr gut und durch die Verbreitung von Neuigkeiten, Gedanken und Argumenten in einer bisher nie dagewesenen Geschwindigkeit, muß man als Host sehr schnell und diplomatisch regieren können. Unser Beruf des Community Managers zeigt uns das immer wieder auf, gell Heike? *umärmel*

        Andererseits sehen wir als alanlytische Beobachter, daß die Meinungs- und Stimmungsmache der großen Zeitungen immer noch greift. Die Umerziehung der Deutschen über das letzte halbe Jahrhundert hat ihre Spuren hinterlasen. Die Toleranz, die viele hier neuerdings predigen, wird schamlos von anderen mißbraucht, unter anderem von Religionsführern… und genau diese sind selbt intolerant ohne Ende.

        Daß die FAZ auch negative Antworten zugelassen hat liegt klar auf der Hand: Es würde auffallen, daß sie die Threads manipulieren ;) und der Unmut würde noch größer werden. Lassen wir die FAZ ihr eigenes Nordkorea aufbauen und wenden wir uns doch den Zeitungen zu, die respektvoller mit dem Gehirn ihrer Leser umgehen.

        • Richard schreibt:

          Dass die FAZ auch negative Kommentare zugelassen hat, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Erstaunlich oft wird im Forum aber betont, dass das nicht immer der Fall zu sein scheint. Community-Manager sind nicht zu beneiden – was man da alles zu lesen bekommt, ist oft unterirdisch und manchmal nur schwer zu ertragen. Dennoch mein Appell, die Kanäle weitestgehend offen zu lassen und mit Augenmaß zu „moderieren“ – auch wenn das oft leichter gesagt ist als getan.

          • Das „Community Management“ wird bei dem Verlag über eine Tochterfirma mit Arbeitskräften abgedeckt, die von der Zeitarbeitsbude Kelly Sevices rekrutiert werden (Bezahlung in etwa auf Mindestlohnniveau). Die Tätigkeit wird green washing-mäßig als „Kommentarsichter/in“ beworben.

            Die Leitartikler und Investigativjournalisten müssten schon sehr verzweifelt sein…

          • kdm schreibt:

            Wenn die Artikel gut geschrieben sind, der Wahrheit entsprechen, keine oder wenig Fehler haben, ehrlich sind (auch mal zugeben, dass man nix weiß), dann wird es auch keine „unterirdischen“ Kommentare geben. Denn wie man in den Wald hineinruft…
            Wenn ich als Journalist aber lüge, die Logik missachte, Fakten unterdrücke (weil sie nicht in mein Weltbild, meine Theorie, meine „story“ passen), Propaganda betreibe, (der Fall Ukraine drängt sich auf), dann sind die Kommentare entsprechend. Denn die Leser der meisten richtigen Zeitungen (also nicht der buinten Blätter oder der Blödzeitung) sind nicht doof. Wenn ich recht erinnere, waren die Kommentare zu Ukraine-Artikeln sogar oft intelligenter, höflicher, logischer, faktenreicher als die Artikel oben drüber.
            Man kann als Schreiber auch seine Leser „erziehen“. Ein wenig. Man kann eine Sprache benutzen, die etwas ausstrahlt und damit eine bestimmte Klientel automatisch draußen lässt, nicht erreicht, gar abschreckt. Nimmt man den Leser ernst, merkt der das. Dann muss so gut wie nix gelöscht werden. Siehe z.B. beim Don A. in den FAZ-Blogs oder in seinem eigenen.

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