Mit dem Internet kamen die Zweifel. Selten war das Misstrauen gegenüber den Medien größer. Es ist, als würden sich die Menschen zum ersten Mal aus Platons Höhle bewegen und feststellen, dass die Schattenspiele auf dem Fernsehbildschirm lediglich Abbild einer größeren, weitaus komplexeren Welt sind. 

 

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Platons Höhlengleichnis – Gefangene, die Zeit ihres Lebens auf eine Wand starren, auf der die Schatten der realen Welt auf- und abtanzen. Als moderne Variante jener Höhlenwand müsste man heute wohl die Tagesschau bezeichnen. Mit allabendlich 10 Millionen Zuschauern ist sie zweifelsohne die größte Nachrichten-Projektionsfläche, die wir in Deutschland haben.

Dann kam das Internet und die Möglichkeit, TV-Berichte zu hinterfragen

Vorbeifahrende Staatskarossen, Bücher, die aus Regalen genommen und Treppen die rauf und runtergegangen werden. Ritualisierte Abläufe, die vertraut wirken und selbst in Krisenzeiten ein gewisses Maß Ordnung und Sicherheit vermitteln. Lange hielt ein Großteil der Bevölkerung das Schattenspiel auf dem Bildschirm für die die gesamte Wirklichkeit und damit schlechthin für wahr.

williamsDann kam das Internet und mit ihm die Möglichkeit, die Berichterstattung zu hinterfragen und mit anderen öffentlich zugänglichen Quellen abzugleichen. Plötzlich wurde den Menschen bewusst, dass die Schatten, die sie ihr Leben lang begleitet haben, nur ein Abbild der Welt darstellen. Der aktuelle Skandal um den US-Vorzeige-Anchorman Brian Williams zeigt, welche gewaltigen Kräfte diese neue Medien-Wirklichkeit freisetzen kann.

 

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Verengter Bildausschnitt aus Tagesschau und Tagesthemen – Zitat: „…geschlossen unter den Millionen“ (Screenshot: ARD-Brennpunkt)

 

Es ist, als hebe sich ein Vorhang und macht den Blick frei auf ein größeres, komplexeres Bild, in dem Gut und Böse nicht mehr so klar voneinander zu trennen sind. Die Befreiten sind verwirrt, wissen nicht wie ihnen geschieht. Wem ist zu trauen? Wer spricht die Wahrheit? Und gibt es so etwas überhaupt wie „Wahrheit“?

Die Verunsicherung unter den Menschen ist groß

Die Verunsicherung unter den Menschen ist groß. Manche reagieren mit Wut. Sie fühlen sich bewusst getäuscht und attackieren die Schattenspieler mit Begriffen wie „Lügenpresse“. Andere wenden sich von den einstigen Welterklärern ab, weichen auf alternative Informations-Quellen aus. Wieder Andere wollen sich mit ihrer passiven Rolle nicht abfinden, gründen ihre eigenen Kommunikationskanäle und Deutungsbühnen.

Was hier geschieht ist nicht etwa die Schuld sogenannter „Systemmedien“ wie etwa Tagesschau oder der großen Tageszeitungen. Diese haben geleistet, was im Rahmen ihrer technischen Möglichkeiten zu leisten war. Was man den Verantwortlichen vorwerfen kann, ist ein gewisser Nimbus von Wahrheits- und Objektivitätsanspruch, den man allzu gerne pflegt und den es nicht zu hinterfragen gilt.

In Sonntagsreden attestiert man sich selbst gerne kritische Distanz

In Sonntagsreden oder auch -Zeitungen attestiert man sich selbst kritische Distanz, fundierte Recherche, kurz: „Qualitätsjournalismus“. Dabei schwingt immer auch ein Hauch Absolutheitsanspruch mit, so als ob alles, was gedruckt – respektive gesendet wird, grundsätzlich objektiv und somit wahr sei.

 

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Gleiche Szene, anderer Bildausschnitt (Quelle: EuroNews)

 

Zweifel aus dem Volk, egal wie berechtigt, werden reflexartig ins Reich der Verschwörungstheorien verwiesen. Recherchefehler oder Einseitigkeit wird – wenn überhaupt – spät und dann eher kleinmütig eingeräumt.

Ausgerechnet eine Satire-Sendung zeigt wie es geht

Es wird Jahre, wenn nicht gar Jahrzehnte dauern, bis wir uns, Höhlenbewohner wie Schattenspieler, an das grelle Licht der allgegenwärtigen Bildschirme gewöhnt haben. Wir werden Wege finden müssen, uns in dieser omnivernetzten Welt zurechtzufinden, uns auf neue Normen, wie Transparenz und eine offene Fehlerkultur zu verständigen. (Ausgerechnet die ZDF-heute-show, eine Satire-Sendung, hat am Wochenende gezeigt, wie das geht)

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Vielleicht werden wir dann eines Tages erkennen müssen, dass auch diese digitale Welt nur Schein ist. Ein Abbild einer noch viel größeren Welt, jenseits unserer heutigen Vorstellungskraft. Und so bleibt uns am Ende vielleicht nicht mehr, als zu lernen, uns mit unseren allgegenwärtigen Zweifeln und unserem Leben innerhalb der Matrix zu arrangieren.

Oder wie Fox Mulder in der Mystery-Serie „Akte X“ stets zu sagen pflegte: „Die Wahrheit ist irgendwo da draußen!“.  Die Lügen auch.

 

 

 

Offenlegung:  Der Autor ist u.a. freier Mitarbeiter der ARD

 

Zum Thema:

Kai Gniffke: „Wir bevormunden nicht“, Frankfurter Allg. Sonntagszeitung, 8. Februar 2015, S. 41 (online)

Stefan Niggemeier: „Die 20-Uhr-Wirklichkeit“

Richard Gutjahr: „Verschwörer versus Systempresse“, Der Tagesspiegel

Blogpost: „Wundern wir uns“, G! blog

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9 Kommentare
  1. Marcus Jordan schreibt:

    Es ist wahr, es ist natürlich auch in Sachen journalistische Wahrheit, alles neu durch das Netz. Alleine durch die Medienvielfalt lernt der Consumer, dass es nicht zwangsläufig immer alles genau so ist, wie in seinem journalistischen Mutterschiff der alten Zeit. Ohne gleich dubiose Quellen wie blogs (Witz) zu nutzen, sondern einfach nur durch die Möglichkeit andere, bekannte Marken zu konsumieren, deren Spielregeln man zu kennen glaubt. Insofern ist der Anspruch gestiegen, anders als früher muss der Journalist damit rechnen, dass sein Leser auch andere Darstellungen bekommt.
    Aber es ist aus meiner Sicht nicht nur ein technisches Phänomen. Ich glaube, dass Journalisten zunehmend die Tendenz haben reflexhaft zu reagieren und zu kommentieren. Es durchziehen diverse thematische Gräben die Gesellschaft und zu oft habe ich das Gefühl, dass ein Journalist oder Medium sich fest verortet auf einer Seite eines Grabens und diese Position argumentativ abzusichern sucht, anstatt zu berichten, einzuordnen, zu vermitteln und unvoreingenommen zu sein. Ich würde denken, dass das mehr ein gesamtgesellschaftliches, als ein journalistisches Thema ist. Gesellschaft spaltet sich, auch hier eifern wir den USA nach. Schön wäre, wenn es journalistische Ethik sein könnte, die Blase im eigenen Kopf immer wieder zu durchbrechen, die eigene Wahrnehmung zu überprüfen und die Gräben an denen man steht überbrücken zu wollen.

    • Richard schreibt:

      Ich denke Du sprichst ein sehr wichtiges Thema an, nämlich unsere ureigenste Voreingenommenheit und das Replizieren der eigenen Wahrnehmung. We oft habe ich es erlebt, dass der Redaktionsleiter etwas in der Zeitung gelesen hat, was seine bereits vorhandene Meinung unterstreicht. Der/die Reporter/in soll dann losziehen und „recherchieren“. Wenn man den Film abliefert und in den Recherchen zu einem völlig anderen Schluss kommt, muss man den Beitrag so lange umschneiden, bis der Film das wiedergibt, was bereits in der Zeitung stand. Um den Chef dabei nicht vor völlig neue Tatsachen zu stoßen, greift man praktischerweise auch gleich auf den selben Experten zurück, der im Sender schon seit Jahren für dieses Thema bekannt ist („Worum geht’s? Was soll ich sagen?“) – so man kommt schneller durch die Abnahme und in den Feierabend. Ich finde es fragwürdig, dass viele Redaktionen abstreiten, dass es dieses Phänomen gibt. Ein offenerer Umgang mit derlei Defiziten würde uns und unserer Glaubwürdigkeit gut tun.

      • Marcus Jordan schreibt:

        …das Gleichmachen im System ist eine Sache. Ich mag Springers Produkte ja nicht sooo sehr, aber sage schon lange, dass er was das angeht, der Ehrlichste ist! :)
        Das andere sind aber unsere eigenen, individuellen Mechanismen. Oder anders gesagt: erstmal muss man aufpassen, dass man nicht selber aus dem Diskurs aussteigt und bequem wird. Das „reflexhafte“ ist meiner Ansicht nach eher ein persönliches Problem, als das eines Redaktionsleiters.

  2. Uwe Kielgas schreibt:

    Hallo,
    sehr interessanter Artikel, der zum Nachdenken anregt.
    Ich meine, rational hat man gar keine andere Wahl, als sich zu entscheiden, ob man glaubt oder nicht.
    Es ist ja die Frage, ob man die Botschaft hinter den Bildern versteht.
    Treppe herunter gehen, Buch aus dem Regal nehmen sind doch alles nur Bilder, die die Botschaft transportieren sollen, da hat man sich leider vom Marketing verleiten lassen: Nicht die Botschaft ist wichtig, sondern der Botschafter oder die Art und Weise, wie die Botschaft überbracht wird.

    Die erste Perspektive der Charlie Hebdo Demo der versammelten Politiker sollte zeigen, dass die gesamte politische Welt solidarisch ist mit der Redaktion des Satiremagazins und dass sie Gewalt ablehnen. Für sich gesehen, hat das Bild die Botschaft transportiert. Aus einer anderen Perspektive wird diese Botschaft verzerrt. Die Politiker sind immer noch da gewesen und haben Ihre Solidarität demonstriert, diese Botschaft wird von dem Bild aber nicht mehr transportiert, ist sie deswegen aber falsch oder unglaubwürdig?

    Wenn man das Bild noch ein wenig aufziehen würde, was würde man sehen? Die anderen Demonstranten, die 500 m hinter den Politikern gehen müssen, aus Sicherheitsgründen?

    Ich glaube, dass die Nachrichtenkonsumenten zu bilderfixiert sind. Nachrichten, die ein Redakteur nur abliest sieht sich keiner mehr an. Das geht soweit, dass die Bilder immer dynamisch sein müssen, sonst schaltet der geneigte Zuschauer ab, darum müssen die Korrespondenten auch sinnfrei durch die Gegend laufen, anstatt ruhig stehend Ihre Kommentare und Analysen abzuliefern.

    • Richard schreibt:

      Ich denke, man macht es sich zu einfach, Polit-Inszenierungen wie diese so völlig ohne Distanz allein als gutgemeinte Geste hinzunehmen. Wenn man bedenkt, welche innenpolitische Bedeutung solche Bilder in den jew. Heimatländern haben (Israel-Wahlen im März, Washington-Debatte um die Absenz Obamas, Frankreichs wahlkämpfender Sarkozy in der 3. Reihe…) Neben aller Solidarität mit den Opfern steckt hinter diesen Bildern auch immer knallhartes Kalkül – GERADE an so einem hochemotionalen Tag. Sollte sich ein Journalist nicht davon lösen? Statt mit Pathos noch in der Anmoderation zu behaupten, die Staatsmänner und Frauen befänden sich „unter den Millionen“. Sorry, das ist schlichtweg falsch. Der Marsch der Politiker dauerte keine 7 Minuten und diente allein den Fotografen und den Kameras. Wenn Du schreibst, dass die Nachrichtenkonsumenten zu bilderfixiert seien, dann gebe ich Dir Recht. Gerade Machtpolitiker wissen das und überlassen nichts dem Zufall, wenn es um eben diese Bilder geht. Der Zuschauer muss die Chance haben, den Kontext dieser Inszenierung erkennen zu können. Behaupten wir Qualitätsjournalisten nicht selbst immer, unsere Aufgabe ist es, Zusammenhänge herzustellen?

      • Uwe Kielgas schreibt:

        Da hast Du uneingeschränkt recht. Ich glaube sogar, dass es die vornehmste und eigentliche Aufgabe von gutem Journalismus ist, Zusammenhänge herzustellen. Agenturmeldungen aufarbeiten kann jeder.
        Da ist es tatsächlich leider so, dass diese Zusammenhänge im Zuge von Proporz und Parteizugehörigkeit hin und wieder verlorengehen.
        Warum sind so viele junge Muslime so voller Hass und und ohne Selbstvertrauen, warum reagiert Russland so auf die NATO-Expansion? Hin und wieder werden schon mal Infos oder gute Dokus eingestreut, aber eigentlich gibt es tatsächlich so etwas wie einen journalistischen Mainstream: „Wir sind die Guten und die da, das sind die Bösen!“
        Ich frage mich nur, liegt das alleine an schlechten Journalisten oder ist da auch der Nachrichtenkonsument nicht ganz unschuldig?
        Wenn ich nur noch Fakten so auf den Punkt gebracht konsumieren will, bis nur noch der Punkt übrig bleibt und bei komplexeren Analysen weg schalte, dann muss ich mich nicht wundern, wenn die Journalisten reagieren.
        Journalisten können ja nicht nur von gut aufbereiteten Nachrichten leben, sie brauchen auch Abnehmer. Wenn keiner mehr komplexe Nachrichtenthemen konsumieren will, bleibt für den Journalisten nur noch bloggen, aber davon können die Wenigsten leben!

Willkommen!