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Lange haben Zeitungs- und Zeitschriftenverleger die sog. Gratismentalität im Netz beklagt. Suchmaschinenbetreiber, Blogger und Leser wurden gar als Schnorrer verunglimpft. Zeit für einen Neustart. Zusammen mit dem Münchner Startup LaterPay möchte ich den Beweis antreten, dass man mit Journalismus im Netz sehr wohl Geld verdienen kann, wenn man seine Leser ernst nimmt. Wie es zu dieser Zusammenarbeit gekommen ist und wie unser Bezahlmodell funktioniert, erkläre ich hier.

 big-Geldpremiere

Vorgeschichte

Auf diesen Tag habe ich lange gewartet. Mit dem heutigen Blogpost präsentieren das Münchner Startup LaterPay und ich eine Idee, an die wir glauben und an der wir seit geraumer Zeit gearbeitet haben. Ein Micropayment-System, das es Bloggern, Journalisten und Verlagen ermöglicht, Geld mit Journalismus im Internet zu verdienen, selbst mit den so oft verschmähten „Lousy Pennies“. Ein System, das sich an den Bedürfnissen der Leser orientiert und eine echte Alternative ist zu Paywalls, Metered Models und digitalen Zwangs-Abos. Die Geschichte, wie ich zu LaterPay gekommen bin und weshalb ich von dieser Idee so überzeugt bin, beginnt mit einem Erlebnis, das genau 3 Jahre zurück liegt. Sie beginnt in Kairo.

Anfang 2011, als die Ägypter auf die Straße gingen, bin ich auf eigene Faust nach Kairo gereist und bloggte über die ersten Tage der Revolution. Die Roamingkosten fraßen mich auf, meine Handyrechnung durchbrach schnell die 3.000 Dollar-Grenze. Womit ich nicht gerechnet hatte: Während ich auf dem Tahrirplatz saß und so vor mich hin bloggte, begannen meine Leser, Geld zu spenden, mich quasi freiwillig für meine Berichte zu bezahlen: rund 4.000 Euro kamen dadurch via PayPal, flattr und Direktüberweisungen zusammen (die genaue Abrechnung hier).

 

 

Bezahl mich, Bitch!

Bezahlter Journalismus im Netz – kann das funktionieren? Natürlich weiß ich, dass Kairo eine Ausnahme war, dass der gewöhnliche Tagesjournalismus überwiegend aus Graubrot besteht, den kein Mensch honorieren würde. Würde ich auch nicht. Und doch ließ mich der Gedanke nicht mehr los: Sind Paywalls und Metered Models wirklich der Weisheit letzter Schluss? Wie kommt es, dass jemand wie ich, News-Junkie und erster Besitzer eines iPads, bis zum heutigen Tag noch kein einziges digitales Zeitungsabo abgeschlossen habe?

Was, wenn man dem Leser alternativ die Möglichkeit bietet, Artikel, Foto-Serien oder Videos frei zu bezahlen? Als Blogger belohnen mich meine Leser ja schon heute regelmäßig, und zwar mit ihren Empfehlungen. Was, wenn man das System Facebook & Co auf den Journalismus überträgt und Retweets, Likes und Google-Plusse in Geld übersetzen könnte? Drückt ein Leser auf den Like-Button, weil ihm ein Text gut gefallen hat, würde er dann auch auf einen 10 Cent-Button drücken?

 

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Das Geld ist da!

Wie Ihr an dem Video aus dem Jahr 2010 weiter oben erkennt, befasse ich mich schon seit langer Zeit mit der Thematik. In zahllosen Veranstaltungen habe ich das Problem Paid Content immer wieder diskutiert. Inspiriert durch einen meiner Vorträge hat mein Studienfreund Karsten Lohmeyer sein Blog Lousy Pennies gestartet. Am Geld selbst liegt es nicht. Lag es nie. Allein für SMS und MMS geben die Deutschen noch immer Jahr für Jahr rund 3 Milliarden Euro aus – und das selbst im Zeitalter von Gratis-Messenger-Diensten wie WhatsApp.

Viele meiner Leser wollen bezahlen. Kein Wunschdenken, sondern belegt durch zig Spenden, die mich Woche für Woche erreichen. Und irgendwie auch nicht: Bezahlsyteme wie PayPal mit ihren horrenden Gebühren fressen Mikrospenden nahezu komplett auf. Beispiel gefällig? Letzte Woche wollte mir Dominik etwas Gutes tun und hat mir 50 Cent überwiesen. Nach Abzug der Gebühren sind davon übrig geblieben exakt 14 Cent! (siehe Abrechnung).

PayPalMicropayment

Bezahlprozeduren eine Zumutung

Neben den unverhältnismäßig hohen Transaktionskosten gibt es ein weiteres Problem: Alle gängigen Bezahl-Prozeduren für journalistische Inhalte im Netz, die heute von den Verlagen eingesetzt werden, sind unglaublich umständlich und gehen an den Wünschen der Leser vorbei. Wieso soll ich die ganze Zeitung kaufen, wenn ich doch wie Tim Herbig neulich nur den einen Artikel lesen (und auch bezahlen!) will? Wieso soll ich ein Wochen- oder gar Monatsabo abschließen, wenn ich doch gar nicht weiß, ob ich in diesem Monat überhaupt noch einmal auf der Seite vorbeischauen werde? Wieso nutzt jeder Verlag ein anderes Pay-System? Wieso ist die Registrierung so unfassbar kompliziert?

Die derzeitigen Online-Bezahlmodelle orientieren sich an den Bedürfnissen der Verlage, nicht an den Bedürfnissen der Leser.

Man muss kein Guten- und schon gar kein Zuckerberg sein, um zu erkennen: Ein System muss her, das so schnell und unkompliziert zu bedienen ist, wie das „Liken“ bei Facebook. Ein System, das es mir gestattet, genau das bezahlen zu dürfen, was mich wirklich interessiert. Zu einem fairen, nachvollziehbaren Preis.

Genau hier kommt LaterPay ins Spiel.

SZ-Akademie
Was ich alles bezahle und was mich davon interessiert – Vortrag an der Evang. Akademie in Tutzing – Foto: Dirk von Gehlen

Was ist LaterPay

LaterPay ist ein junges Startup aus München, das schon vor Jahren damit begonnen hat, das Thema Micropayment neu zu denken. Wichtig dabei ist es, zu verstehen: LaterPay ist nicht nur eine technische Plattform, viel mehr eine Philosophie. Sie basiert auf der simplen Grundannahme: Der Leser will bezahlen, sofern er den Nutzen des Gekauften erfährt und man es ihm einfach macht. Er will nur nicht ständig mit nervigen Vorabregistrierung und langen Vorab-Bezahlprozeduren belästigt werden, schon gar nicht unterwegs, wenn man nur mal schnell was lesen möchte. Deshalb ist es auch gar nicht nötig, sich bei LaterPay groß anzumelden, zumindest nicht sofort. Ein einfaches „ja, ich zahle später“ reicht erstmal aus. Der User erfährt dann den Nutzen des Bezahlinhalts bevor er dafür später bezahlt.

Am besten vergleichen lässt sich die LaterPay-Idee mit dem Anschreiben in einer Kneipe: Man bestellt drei, vier Bier. Die Anzahl der Getränke wird mit Strichen auf dem Bierdeckel notiert. Am Ende des Abends wird man gebeten, zu bezahlen – und zwar nur exakt das, was man tatsächlich auch konsumiert hat. Bei LaterPay ist das immer dann der Fall, wenn man eine Summe von 5 Euro überschreitet. Durch dieses „Ansparen“ von einer runden Summe lassen sich die Transaktionskosten selbst für Kleinstbeträge auf ein Minimum reduzieren (max. 15 Prozent im Vegleich zu den sonst üblichen 30 Prozent-Margen bei Apple, Amazon oder Google).

 

LPKaufCollage

Mit Micropayment zu mehr Abos

Über einen Zähler auf dem Bildschirm weiß der User dabei stets auf den Cent genau, wieviel Geld er aktuell zusammengelesen hat. Der Inhalte-Anbieter verfügt über ein Cockpit, das ihm sämtliche LaterPay-Transaktionen in Echtzeit anzeigt. Am Ende des Monats erhalten sowohl Content-Anbieter als auch -Nutzer eine Cent-genaue Auflistung aller Artikel, die über LaterPay abgerufen wurden, vergleichbar mit dem Einzelverbindungsnachweis bei Telefonrechnungen.

Das interessante an LaterPay ist, dass ich als Journalist entscheiden kann welches Geschäftsmodell ich anbieten möchte. Man kann Einzelartikel ab 5 Cent verkaufen, kann dazu aber auch Freemium-Modelle anbieten. Und sogar alles miteinander kombinieren. Auch Abos lassen sich über LaterPay abwickeln. Wir sind überzeugt: Der Schritt von Micropayment zum Abo fällt leichter als vom Gratismodell zur Paywall.

 

Bei Nichtgefallen: Rückgabe

LaterPay führt als erster Abieter überhaupt die optionale Content-Rückgabe für einzelne Inhalte ein. Damit sollen die Einstiegshürden für den Leser so niedrig wie möglich gehalten werden. „Jemand, der weiss, dass er bei Nichtgefallen die Ware zurückgeben kann, zahlt in dem Wissen, fair behandelt zu werden“, so LaterPay-Gründer Cosmin Ene. „Content Rückgabe schafft Vertrauen.“ Damit sowohl Leser und Anbieter auf ihre Kosten kommen, sorgt ein spezieller Algorithmus dafür, dass das System für alle fair bleibt und einzelne User die Inhalte nicht en gros zurückgeben.

 

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Mein Weg zum Startup

Letztes Jahr, lange bevor Cordt Schnibben eine gleichnamige Essay-Reihe im Spiegel gestartet hat, habe ich im G! blog meine Leser zur Debatte Zeitung der Zukunft aufgerufen. Neben Beiträgen von Frank Schirrmacher, Sascha Lobo, Mario Sixtus, Thomas Knüwer, Ulrike Langer und Amir Kassaei haben sich auch Schüler, Studenten, sogar Zeitungsredakteure an der Diskussion beteiligt.

„Endlich müssen Sie nicht mehr den ganzen Playboy kaufen, wenn Sie nur die Interviews lesen möchten!“

Eines Tages kontaktierte mich Christian Hasselbring, ehemals Geschäftsführer bei stern.de. Christian berichtete mir von einem Micropayment-System, das genau die Funktionalität bietet, die ich mir (und offensichtlich viele meiner Leser) gewünscht hatte. Zusammen mit Cosmin Ene, dem Gründer von LaterPay, waren wir uns schnell einig, dass wir zusammenarbeiten wollen. Seit Herbst gehöre ich daher zum Beraterteam von LaterPay. Das WordPress-Plugin, das Ihr in meinem Blog ausprobieren könnt, ist maßgeblich nach meinen Vorgaben entwickelt worden.

Natürlich ist mir bewusst, dass ich durch mein Engagement bei LaterPay meine Rolle als unbeteiligter Beobachter aufgebe. Nur: Dinge ändern sich nicht allein dadurch, indem man auf Medienkongressen darüber diskutiert. Man muss experimentieren, und ja: auch mal was riskieren. Es geht darum, den gordischen Knoten für bezahlten Journalismus im Netz zu durchschlagen. Ohne Geld kein Journalismus. Wenn ich also auch in Zukunft Journalist sein möchte, wie kann ich mich der Frage nach neuen Bezahlmodellen da verweigern?

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Guten Journalismus wieder „Wert“-schätzen

Neben Werbung, Crowdfunding und Stiftungsmodellen soll Micropayment ein Baustein für die Finanzierung von Journalismus im Netz sein. Natürlich hoffe ich, dass es eines Tages eine verlagsübergreifende All-you-can-read-Flatrate geben wird, ähnlich wie bei Spotify für Musik. Nur: Da sind wir heute noch nicht. Mit ihrer Gratis-Anbieter-Mentalität haben die Verlage in den letzten 15 Jahren erreicht, dass der Leser orientierungslos ist. Er muss erst behutsam an das Thema Bezahlung herangeführt werden. Das Team von LaterPay und ich sind der Überzeugung, dass Micropayment der beste Weg dazu ist.

Erst wenn ich weiß, wieviel Geld ich monatlich für gut recherchierte Hintergrundberichte, Kommentare, Interviews und Reportagen ausgebe, kann ich guten Journalismus sprichwörtlich wieder „Wert-schätzen“. Willkommener Nebeneffekt: Wenn Leser die Möglichkeit haben, journalistische Inhalte einzeln zu belohnen, könnte ich mir vorstellen, dass das eher zu einer Aufwertung von Recherche und Qualität führt und dass reiner Copy-&-Paste-Journalismus oder Klickstrecken unattraktiver werden.

Anders als bei PayWalls oder abgestufte Varianten davon (Metered Model), sind wir nicht der Meinung, dass man den Leser mit einem Monats-Abo zwangsbeglücken muss. Wir wollen, dass der Leser gerne zahlt. Weil ihm dieser eine Text, diese eine Karikatur oder dieses eine Video in einem bestimmten Augenblick tatsächlich etwas wert ist. Vorausgesetzt der Bezahlvorgang ist schnell und einfach und der User kann sich von den Inhalten überzeugen bevor er dann tatsächlich bezahlt.

 

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Wie kann ich mitmachen?

Wenn Ihr Lust habt, könnt Ihr LaterPay ab kommender Woche in meinem Blog ausprobieren. Wir haben auch ein Demo-Blog angelegt, in dem Ihr nach Herzenslust herum klicken und das System ausprobieren könnt (don’t panic, dadurch entstehen keine echten Kosten!). Und keine Sorge: Mein Blog wird auch in Zukunft frei zugängig sein! Was sich ändert: Dank LaterPay habt Ihr jetzt zusätzlich die Möglichkeit, mich für den einen oder anderen Inhalt zu bezahlen. Mit nur 2 Klicks (!) könnt Ihr weiterführende Informationen, Grafiken oder Videos abrufen. Eine Art „In-App-Purchase“, wie man das aus der Games-Welt kennt – nur eben übertragen auf den Journalismus.

Wenn Ihr Blogger, Journalist und/oder Verleger seid, könnt Ihr LaterPay auch auf Euren Seiten anbieten. Das WordPress-Plugin ist fertig und wird in wenigen Wochen für alle ausgerollt. Weitere Anbindungsmöglichkeiten über Joomla, Drupal oder das hauseigene Redaktions-CMS via API-Schnittstelle folgen. Für technische Fragen wendet Euch bitte direkt unter dieser eMail an LaterPay. Solltet Ihr Fragen an mich persönlich haben, am besten hier im Kommentarteil oder per Mail. Ich freue mich auf Euer Feedback!

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215 Kommentare
  1. Steve schreibt:

    Das klingt alles wirklich gut durchdacht und Du hast den Spannungsbogen mMn nicht zu unrecht so hoch aufgebaut. :)

    Bin schon gespannt, das alles im Livebetrieb bei Dir zu testen und dann ggfs. sogar selbst einzusetzen. Ich glaube, dass es viele Nutzer gibt die gern gute Artikel, Videos etc. freiwillig bezahlen und hoffe, dass Dein Weg einer derer wird, die solche Modelle zum Erfolg führen.

    Hierfür auf jeden Fall viel Erfolg!

    • Richard schreibt:

      Wow, so früh schon/noch wach? Danke für die frommen Wünsche. Keine Ahnung, ob es klappt. Aber besser man versucht mal was, als ständig nur zu jammern, oder? Ab kommende Woche dann die ersten Artikel – mal schauen…

      • Steve schreibt:

        Noch wach. :) Eigtl. wollte ich gerade Rechner herunterfahren, da ploppte im Reader Dein Artikel auf. Und da der Spannungsbogen ja ordentlich gespannt war, musste ich ihn auch gleich lesen. :) Und mit dem „einfach mal machen“ bin ich ganz bei Dir.

  2. GNetzer schreibt:

    Der Ansatz ist meiner Meinung nach genau richtig, die Zeit für einen solchen Versuch ebenfalls. Bin sehr gespannt auf die weitere Entwicklung!

Willkommen!