Crossmedia, Social Media, DVD-Beilage und Augmented Reality. Der ‚Economist‘ kommt gänzlich ohne jeden Klimbim aus und findet am Zeitungskiosk wie auf dem iPad reissenden Absatz. Ein Besuch in den schmucklosen Redaktionsräumen des vielleicht besten Nachrichten-Magazins der Welt.

Es ist ein grauer Oktober-Morgen. Grau der Himmel und grau das Gebäude, vor dem ich stehe. Ein hässlicher Zweckbau umgeben von herausgeputzten Hausfassaden, Kaffeehäusern und Bücherläden, unweit des Piccadilly Circus. Hier also entsteht ‚The Economist‘, vielleicht das beste Nachrichten-Magazin der Welt.

Ich treffe Oliver August, gebürtiger Deutscher aus Bremerhaven. Oliver hat Philosophie und Politik in Oxford und an der City University von London studiert. Seine journalistische Karriere begann bei der London Times, die ihn zum Bureau-Chief der Times in Peking machte. Dort verfasste er ein Buch über den chinesischen Wirtschaftsverbrecher Lia Changxing ‚Inside the Red Mansion‚ (Amazon Partner Link), das in ein Dutzend Sprachen übersetzt wurde. Seit einigen Jahren ist Oliver beim Economist, wo er für Afrika und den Nahen Osten zuständig ist.

Die Redaktion des Economist sei so etwas wie eine Zeitkapsel, sagt Oliver. Schmucklose Räume und Korridore, kein Großraumbüro, wie sonst üblich in der Branche – hier gibt es noch Einzelbüros, die in der Regel von zwei Redakteuren geteilt werden. Viele Büros stehen an diesem Morgen leer, auch Oliver verbringt im Schnitt rund eine Woche im Monat mit Reisen. „Bei uns herrscht keine Anwesenheitspflicht“, sagt er. „Wenn du nicht im Büro bist, geht jeder davon aus, dass du gerade an einer Geschichte arbeitest. Es ist ein ständiges Kommen und Gehen.“

Zweistellige Gewinnzuwächse, bei steigender Auflage und einem Anstieg der Werbeeinnahmen von 15 Prozent in diesem Jahr. Während andere Verlage Stellen streichen und Redaktionen zusammenlegen, feiert die Economist-Group einen Auflagenrekord nach dem nächsten. Und das auch im Netz: Die schnörkellose iPhone/iPad-App wurde über 2 Millionen mal heruntergeladen mit rund 40 Prozent Zuwachs beim Webauftritt.

„Wir leisten uns noch den guten alten, klassischen Journalismus“, sagt Oliver August „und für den nehmen wir uns viel Zeit“. Der Chefredakteur sei ein großer Internet-Fan, der Großteil der Belegschaft jedoch eher noch zurückhaltend, was technische Gadgets angeht. Oliver August deutet auf das iPhone, mit dem ich das Video zu diesem Blogpost mache, grinst: „Zeig ihm das bloß nicht, sonst kommt der noch auf dumme Gedanken und verlangt, dass ich von meinen Reisen auch noch ein Video mitbringe!“

„Es ist gut, manchmal nicht erreichbar zu sein. Ich brauche auch diese Stunden, Eindrücke einfach mal auf mich wirken zu lassen. Es macht die Geschichte besser.“

‚The Economist‘ wurde 1843 gegründet und gehört heute zu 50 Prozent der Financial Times, die andere Hälfte teilen sich Mitglieder der Rothschild-Familie, die Erben von Fiat-Gründer Giovanni Agnelli, sowie einige Redaktionsmitglieder.

Lese-Empfehlung: ‚The biggest reason we’re successful is that we are lucky‘ (The Guardian)

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10 Kommentare
  1. Michael schreibt:

    Seit 20 Jahren im (Print-)Abo. Nahezu jedes Heft ist eine Erbauung. Abseits des nichtssagenden Lärms, der Abschreiber und Gernegrössen. An einem Samstag den Economist durchlesen – das gibt intellektuelle Kraft für die nächste Woche. Unerreicht.

  2. Erich schreibt:

    @ Michael> Klar, solang man alles, was die schreiben, für das Evangelium hält – so wie die Redakteure selbst.
    Aber davon abgesehen, ich lese den Economist auch gern… nur eben nicht den allein.

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