Im März 2011 trug sich in der Bundespressekonferenz ein einzigartiges Schauspiel zu. Man könnte sagen, es war der Tag, an dem das Neuland an die Pforten der Hauptstadt anklopfte und einer satten, bonierten Journalisten-Kaste ankündigte: Von nun an wird im Nachrichtengeschäft nichts mehr so sein, wie es mal war.

Die Erklärung des stellvertretenden Regierungssprechers Christoph Stegmanns, dass das Bundeskanzleramt in Zukunft Informationen auch direkt an die Bevölkerung via Twitter kommunizieren werde, sorgte in den Reihen der Hauptstadtkorrespondenten für Unmut. Ob das denn „sicher“ sei, echauffierten sich die Journalisten, schließlich könne ja „jeder twittern“ und ob der Regierungssprecher das tue, weil er ein „junger, tougher Typ“ sein wolle.

Die Sorge um einen drohenden Bedeutungsverlust der Journalisten war nicht ganz unbegründet, schließlich konnten sich Politiker dank Twitter oder Facebook direkt ans Volk wenden, ohne dabei den Umweg über die lästigen Redakteure und Faktenchecker gehen zu müssen. Vor allem für Persönlichkeiten, die es mit der Wahrheit nicht allzu genau nahmen, waren die Sozialen Netzwerke ein Geschenk des Himmels.

Ein Mann, der von Twitter sicherlich mit am meisten profitierte, war Donald Trump. Während seiner Amtszeit zählte der damalige US-Präsident rund 89 Millionen Follower, die ihm auf dem Netzwerk folgten. Eine gigantische Reichweite, die Trump geschickt zu nutzen verstand. Mit seinen Lügen-Tweets und gezielten Angriffen auf politische Gegner beherrschte er über Jahre hinweg die Nachrichten-Agenda.

Erst als im Januar 2021 ein wütender Mob von Trump-Anhängern das US-Kapitol stürmte, warf das Twitter-Management Trump von der Plattform.„Deplatforming“ nennt man den Vorgang, Nutzern den Kanal zu sperren, wenn diese wiederholt Hass und Hetze über ein Netzwerk verbreiten. Eine selten praktizierte Maßnahme, die vor allem in den USA große Wellen schlug, wo das Recht auf freie Meinungsäußerungen einen noch größeren Schutz genießt als bei uns in Europa.

Eben diese „Zensur“ der freien Rede rief einen der reichsten Männer der Welt auf den Plan: Elon Musk, der mit dem digitalen Bezahldienstleister PayPal früh zu Geld gekommen war und der zunächst mit Tesla, später dann als Chef von SpaceX und dem Satelliten-Kommunikationssystem Starlink sprichwörtlich nach den Sternen griff. 

Musk, selbst ein eifriger Twitter-Nutzer, der immer wieder durch seine pubertären und oft fragwürdigen Kommentare auf der Plattform aufgefallen war, passte die Unternehmenspolitik des Netzwerks nicht. Ende 2021 begann er heimlich damit, Anteile des Kurznachrichtendienstes zu erwerben. Im Frühjahr ließ er dann die Katze aus dem Sack: Der Multi-Milliardär wolle Twitter übernehmen, um das Netzwerk „zu retten“ und dort die Redefreiheit wieder herzustellen.

Den Kaufpreis in Höhe von 44 Milliarden US-Dollar hatte Musk zum überwiegenden Teilen über Investoren, zum Teil aus seinem Privatvermögen zusammengetragen. Als er später erkannte, dass die Kaufsumme, zu der er sich selbst verpflichtet hatte, um ein Vielfaches über Wert lag, versuchte er, aus dem Deal auszusteigen. Ein Gericht verdonnerte ihn schließlich, den Kauf durchzuziehen. Und so ging das Soziale Netzwerk im Herbst 2022 an den Tesla-Boss.

Auch danach hat Musk bei Twitter alles falsch gemacht, was man falsch machen konnte: Im Zuge des Übernahmepokers hatte sich der erratische Unternehmer viele Feinde gemacht. Sogar unter Menschen, die ihm ursprünglich wohlgesonnen waren. Nur Tage nach dem Kauf etwa feuerte Musk die Hälfte der Belegschaft, darunter leitende Köpfe, die er für die Neuausrichtung des Unternehmens dringend benötigte und die er kurz nach der Kündigung wieder teuer zurückholen musste.

Aber auch das Produkt Twitter selbst musste unter dem neuen Boss kräftig Federn lassen. Unmittelbar nach dem Machtwechsel öffnete Musk die „Gefängnistore“ und ließ problematische Twitter-Trolle wieder zurück auf die Plattform, darunter auch Donald Trump. Langjährige Nutzer klagten in der Folge über zunehmende Belästigung durch Hater und einen Zuwachs an Spam-Nachrichten.

Um mehr Nutzer dazu zu bewegen, ein kostenpflichtiges Abo abzuschließen, schaffte Musk verifizierte Konten ab. Seit April kann sich jeder gegen 8 bzw. 12 Dollar im Monat auf Twitter nennen, wie man will. Das blaue Häkchen am Namen, das einst als Prüfsiegel dafür galt, dass eine Person wirklich die ist, die sie vorgab zu sein, zeigt nur noch an, ob jemand für den Dienst Geld zahlt oder nicht.

Prominente Twitter-Nutzer, darunter Bestseller-Autor Stephen King, der Popstar Elton John aber auch große Nachrichtenplattformen wie der öffentlich-rechtliche Rundfunkanbieter NPR verließen die Plattform und wechselten zu Konkurrenzprodukten wie Mastodon oder den neugestarteten Twitter-Klon „Threads“ von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg.

Den eigentlichen Vogel schoss Elon Musk letzte Woche ab. Sprichwörtlich. Denn über Nacht ließ der 52jährige ausgerechnet das weltweit bekannte Markenzeichen der Plattform, den blauen Vogel, durch ein weißes X vor schwarzem Hintergrund ersetzen. Die Begriffe „Twitter“, „Tweets“ und „Re-tweets“ gibt es nicht mehr. Das blaue Vogel-Icon gleicht nun einer Piratenflagge mit einem weißen X vor schwarzem Hintergrund. In San Francisco legte sich Musk mit der Stadtverwaltung an, als er über Nacht ohne Baugenehmigung das Firmenlogo am Gebäude der Konzernzentrale durch ein grell leuchtendes „X“ ersetzen ließ.

Musk möchte aus „X“ eine „Everything-App“ machen, also eine App, die vom Bahn-Ticket bis zum Pizza-Lieferservice gleich mehrere Dienstleistungen unter einem Dach vereint. Vorbild ist WeChat in China, das fast 80 Prozent der chinesischen Bevölkerung täglich benutzen. Ob Musk der Richtige ist, um diese Vision umzusetzen, wird in der Fachwelt bezweifelt. „Elon Musk versteht Social Media nicht“, sagt etwa der Investor und Wirtschaftsprofessor Scott Galloway in seinem Podcast, der zu einem der härtesten Kritikern Musks zählt.

Auch viele Investoren glauben nicht an den Erfolg von „X“ und verweisen dabei auf Elon Musks eigene Aussagen, der erst kürzlich auf der eigenen Plattform einräumte: „Wir haben immer noch einen negativen Cashflow aufgrund eines etwa 50-Prozent-Rückgangs der Werbeeinnahmen und einer hohen Schuldenlast.“. Wie Musk die bisherigen Twitter-Nutzer bei Laune halten und zugleich die Werbekunden zurück auf die Plattform locken will, ist unklar. Musk ist bekannt für viele vollmundigen Versprechungen, von denen er am Ende nur wenige umsetzt.

Ob Musks jüngster Plan aufgehen wird, Twitter, bzw. „X“ in eine Super-App zu verwandeln, mit der man chatten, shoppen oder bezahlen kann, steht in den Sternen. Was feststeht: Anders als die anderen Musk-Unternehmen SpaceX oder Starlink ist das Führen eines Sozialen Netzwerks offenbar keine Raketenwissenschaft. Es ist schwerer.

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3 Kommentare
  1. David schreibt:

    Nur eine kurze, vielleicht etwas nischige Anmerkung. Zitat: „Eine selten praktizierte Maßnahme, die vor allem in den USA große Wellen schlug, wo das Recht auf freie Meinungsäußerungen einen noch größeren Schutz genießt als bei uns in Europa.“ Im amerikanischen Kontext geht es nicht um freie Meinungsäußerungen, sondern um freie Rede. Das mag als Unterschied klein klingen, aber bedeutet dass dort nicht nur Meinungen, sondern auch Lügen bis hin zur Holocaustleugnung als freie Rede betrachtet werden, auf die man ein Grundrecht hat. Von daher finde ich es wichtig, hier die Begriffe Präzise zu benutzen um das Ausmaß der gefühlten Einschränkung in die Grundrechte eines Amerikaners klar zu machen.

  2. Lorenz Granrath schreibt:

    Es hieß früher Schuster bleib bei Deinen Leisten und das zeigt sich in dieser guten Analyse. Musk hat erstaunliches geleistet, aber er hat kein Händchen für soziale Netze. Fragt sich, wie sozial ist er?

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